König Mythor
war, und vorgegeben, nur einige alte Freunde wiedersehen zu wollen, so dass der Hauptmann keinen Argwohn empfand.
Viliala sah wohl, wie groß Lamirs Sorge um Mythor war, und die stumme Bitte in seinem Blick ließ sie auf Nahir einreden. Buruna gewann den Eindruck, dass Nahir ihr väterlich zugetan war. Doch groß war die Verantwortung, die auf den Schultern dieses Mannes lastete. Jeden Mann, den er zum Lebensgärtchen schickte, würde er bei der zu erwartenden nächtlichen Schlacht gegen die Pflanzen schmerzlich vermissen. So dauerte es eine geraume Zeit, bis Nahir schließlich mit grimmigem Gesicht nickte.
»Wenn der König in Gefahr ist, müssen wir ihm beistehen«, sagte er. »Ich werde einige meiner besten Krieger abstellen, die sofort aufbrechen. Aber macht euch keine zu großen Hoffnungen.«
Nahirs Sorge um Mythor war echt. Ebenso wie Hapsusch schien er es ihm hoch anzurechnen, dass er sich in Gefahr begeben hatte, um das Heiligtum der Leoniter vor dem Zugriff der Schattenmächte zu schützen. Andererseits schien er zu glauben, dass der neue König von keinem Sterblichen ernsthaft bedroht werden könne.
Er hatte Arrufs Blick nicht gesehen! Er hatte ihn nicht reden hören!
»Er ist in größerer Gefahr, als du glaubst«, murmelte Buruna. »Ich reite mit den Männern!«
Sie sah Lamir fragend an. Innerlich verwünschte sie sich für das, was sie getan hatte. Lamir gab den Blick an Viliala weiter, und er war nicht länger allein mit seinen Seelenqualen.
Wenn Hauptmann Nahir sich wunderte, so zeigte er es nicht.
Endlich sagte Viliala: »Auch wir werden sie begleiten, nicht wahr, Lamir?« Sie sprach den Namen aus, als gehörte er zu einem Goldschatz.
Lamir errötete leicht und hauchte: »Wie du befiehlst, Viliala.«
Nahir wollte protestieren, doch Viliala schaffte es wieder, ihn schnell umzustimmen. »Mein Platz ist an der Seite des Königs«, sagte sie bestimmt, aber dabei sah sie nur Lamir an, der aufgeregt an seinem Liebesknoten zupfte.
»Ich werde euch die doppelte Menge Krieger mitgeben«, sagte Nahir seufzend, als ob er großes Unheil ahne.
Bis zum Einbruch der Dunkelheit mochte es noch eine Stunde hin sein, als ein Dutzend leonitischer Krieger mit Viliala, Buruna und einem Barden aufbrach, dessen Ziel aller Sehnsüchte so nah und doch so fern war.
*
Mythor stand vor dem kleinen Tempel, einem einfachen, viereckigen weißen Gebäude mit flachem Dach und vier kleinen Türmchen am Eingang des Heckenlabyrinths, das den Baum des Lebens umgab.
Die Faszination beim Anblick dieses erhabenen, uralten Baumes war nicht geringer geworden, seitdem Mythor ihn am Vormittag zum erstenmal gesehen hatte - eher noch größer.
Mythor hatte den Helm der Gerechten vorübergehend abgenommen, weil die Signale, die ihn zu seinem Ziel drängten, unerträglich geworden waren.
Wie ein Berg aus immergrünen Blättern, starken Ästen und mächtigen Luftwurzeln ragte der Baum inmitten des Heckenlabyrinths in den von der untergehenden Sonne blutrot gefärbten Himmel. Mythor schätzte seine Höhe auf gut hundert Mannslängen, und breiter noch war die nach oben hin spitz zulaufende, unregelmäßig geformte Krone. Vom Tempel aus glich der Baum des Lebens einem jener geheimnisvollen Bauwerke, wie Thonensen sie auf einem Pergament skizziert und Mythor gezeigt hatte.
Der Sterndeuter Graf Corians hatte sie Pyramiden genannt und gesagt, irgendwo tief im Süden, wo die Düsterzone Fußbreit um Fußbreit das Land verschlang, gebe es solche Bauwerke. Allerdings wusste auch er nicht zu sagen, ob dies vor oder hinter der Schattenzone war. Thonensen wusste um viele Dinge, die er auch Mythor nicht preiszugeben gewillt gewesen war und die Mythor nicht verstand. Geheimnisvoll hatte er geäußert, sein magisches Fernrohr könne ihm wohl Dinge zeigen, die längst vergangen waren und einer anderen, vergessenen Welt zugehörten.
Mythor hatte Hapsusch mehrere Male gedrängt, schon in dieser Nacht zum Baum des Lebens zu gehen, doch der Lebensgärtner hatte strikt abgelehnt. Die Wächter des Baumes, so Hapsuschs Worte, würden ihn trotz der getroffenen Maßnahmen zerfleischen, sollte er versuchen, sich ihnen nachts zu nähern.
Und einen weiteren Grund zum Warten gab es. Mythor drehte sich um und sah die kerzengerade in die Höhe gereckten Stränge der Dämonenpflanzen, die während der vorigen Nacht das Lebensgärtchen bis fast zu Hapsuschs Tempel überwuchert hatten. Erst dort schien eine magische Kraft sie aufzuhalten, doch ihre Wurzeln waren
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