König Mythor
ausschoben und versuchten, die Körper der Männer zu erreichen.
Wo die Fackeln in die schleimigen Leiber gestoßen wurden, starben die Chimären mit schrecklichen, ächzenden Lauten. Mythor rannte hin und her, von einer aus dem Boden schnellenden Pflanze zur nächsten, und mähte sie nieder, bevor die Stränge zu hoch wuchsen und auf ihn herabpeitschen konnten.
Doch es waren zu viele. Links und rechts von Mythor wuchsen die Stränge in die Höhe und trieben ihn regelrecht vor sich her, wieder zurück auf den Tempel zu, bei dem Hapsusch bebend wartete.
Früher oder später mussten Mythors Kräfte erlahmen. Und die Nacht hatte erst begonnen.
Eine Handvoll Männer standen gegen Hunderte von Schlangenpflanzen. Die zuckende, peitschende Mauer kam heran, unaufhaltsam und unerbittlich. Ächzen, Singen und Stöhnen wie von Dämonen erfüllten die Luft.
Mit der Kraft der Verzweiflung schwang Mythor sein Schwert, das in der von Feuern zerrissenen Dunkelheit wie ein Strahl reinen Lichts durch die Luft fuhr. Doch die Übermacht war zu groß.
Erneut musste Mythor zurückweichen und entging nur knapp einem wahren Hagel aus Samenspitzen.
Dabei sah er den Baum des Lebens und hörte im gleichen Augenblick Hapsuschs erstickten Schrei.
Der riesige, uralte Baum hatte zu leuchten begonnen, ganz schwach nur, aber stark genug, um neue Hoffnung in Mythor und den Kriegern aufkeimen zu lassen.
Mit neuer Kraft gingen die Männer gegen die Armee des Grauens an, die ihre Befehle von tief in der Schattenzone erhielt, und jeder einzelne kämpfte in dem Bewusstsein, dass er das Leben verteidigte, während die Pflanzen den Tempel einzuschließen begannen.
Es hatte Augenblicke gegeben, in denen Mythor der Glaube daran, den nächsten Morgen zu erleben, verlassen hatte; Augenblicke, in denen er keine Kraft mehr in sich spürte. Als die Männer sich an den Blasebälgen abwechselten, einige schwitzend und schwer atmend am Boden lagen, um die anderen, die sie wieder ablösen würden, den aussichtslos erscheinenden Kampf fortführen zu lassen, schloss sich der grüne peitschende Vorhang um den Tempel.
Das war irgendwann in der Nacht gewesen. Doch dann war die grüne Mauer zum Stillstand gekommen. Die roten Samenspeere blieben im Boden stecken, und keine neuen Gewächse wuchsen daraus hervor. Als ob die dämonische Armee, der hin und her wogende, peitschende Dschungel spüre, dass ihm ein nicht greifbares Hindernis in den Weg gelegt war, schwoll das Ächzen und Singen an, ließ die Krieger die Hände auf die Ohren drücken und schreiend umherlaufen. Mit ungestümer Gewalt warf sich die grüne Mauer nach vorne, doch sie fasste keinen Fuß mehr. Im Gegenteil verfärbten und rollten sich jene Pflanzen dort ein, wo sie die giftigen Hecken erreicht und zum Teil überwunden hatten.
Ungläubig hatte Mythor dagestanden und zum Baum des Lebens geblickt, doch dessen Leuchten war erloschen. Hapsusch war auf die Knie gefallen.
Wenngleich die Leoniter und Mythor nun, während der letzten Stunden der Nacht, nicht mehr direkt bedroht waren, machte doch das Singen und Ächzen des ungestüm peitschenden Dschungels diese Stunden zur Hölle. Mythor spürte, wie etwas von ihm Besitz ergreifen wollte, und setzte sich den Helm der Gerechten auf. Schlagartig erlosch der fremde Einfluss. Dafür jedoch peinigten ihn die drängenden Einflüsterungen. Mehrere Male bewahrte er Krieger und Tempeldiener vor dem sicheren Tod, als diese, von dem dämonischen Einfluss getrieben, blind in die Pflanzenmauer hinein rennen wollten.
Nun stand die Sonne im Osten blutrot am Himmel, und Stille war eingekehrt. Hapsusch schien am wenigsten fassen zu können, dass diese Nacht überstanden war. »Der Baum des Lebens wehrt sich«, sagte er.
Und Mythor glaubte zu wissen, was der alte Mann damit meinte.
Wurzelwerk prallte auf Wurzelwerk, Licht gegen Schatten. Was in diesen Stunden hier, im Westen von Leone, geschah, spiegelte den Zustand der gesamten Lichtwelt wider. Männer, Frauen und Kinder befanden sich auf der Flucht vor den Caer. Hütten, Städte und Gehöfte wurden zurückgelassen. Nur mit dem Nötigsten ausgestattet, wälzte sich eine noch unübersehbare Flüchtlingslawine gen Süden. Wer nicht entkam, wurde zu Sklaven der Inselhorden und ihrer schrecklichen Priester, oft dämonisch beeinflusst. Nie wieder würden diese Menschen das Licht sehen.
Diese Gedanken trieben Mythor den Zorn ins Herz, und er hörte sich murmeln: »Der Lichtbote brachte der Welt das Licht, aber es ist
Weitere Kostenlose Bücher