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König Mythor

König Mythor

Titel: König Mythor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Hoffmann
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anders sein als in seinen Phantasien, und es bestand die Gefahr, dass er von der Wirklichkeit überrumpelt wurde.
    So stand er da und starrte in den grünen Himmel über sich. Ab und zu war Rascheln im Laub zu hören, aber es kam von weit oben, wohin der Blick nicht reichte. Schwere Körper bewegten sich durch das dichte Blätterwerk. Mythor hatte das Gefühl, von tausend Augen beobachtet zu werden.
    Die Löwen umschlichen den Baum lautlos. Dann und wann blieb eines der stolzen Tiere stehen und sah zu ihm herüber.
    Und die Signale des Helmes wurden dringender. Sie wiesen nach oben, in die Spitze des mächtigen Baumes, der Mythor nicht länger wie ein Baum erschien. Es war eine Welt für sich, eine Welt, die ihn ganz in sich aufnehmen würde, sobald er sie betrat.
    Einladend hingen dicht vor ihm die Luftwurzeln, stärker als Schiffstaue, herab. Er brauchte nur danach zu greifen, an ihnen hochzuklettern und...
    Mythor hielt an sich. Die Zeit verstrich. Es wurde bitter kalt. Die Sonne stieg im Osten höher, zog ihre ewige Bahn am Firmament, doch Mythor sah sie nicht. Nur an einigen Stellen, am Rand des pyramidenförmigen Laubdachs, schienen ihre Strahlen durch und wurden eins mit dem Grün über ihm.
    Endlich hörte der Sohn des Kometen ein Geräusch hinter sich. Schritte näherten sich ihm. Mythor drehte sich nur halb um in der Gewissheit, den Lebensgärtner neben sich treten zu sehen.
    Aber es war nicht Hapsusch, der nun dicht vor ihm stehenblieb. Es war niemand, den Mythor hier und jetzt erwartet hätte. Es kostete ihn viel Überwindung, nicht die Hand zu heben und das zu verscheuchen, was er für einen Zauber halten musste. Doch es war kein Zauber, keine magische Illusion.
    »Kalathee«, flüsterte Mythor.
    *
    Sie trat auf ihn zu, berührte seine Hand und schlug den Blick nieder. Sie stand vor ihm, als wäre sie nie von ihm fort gewesen, schön, zerbrechlich und zart. Ihre Lippen waren verschlossen, als sie wieder aufblickte. Mythor hatte die erste Überraschung verdaut. Wie lange hatte er nach der ehemaligen Weggefährtin gesucht! Nun war sie hier, am Baum des Lebens - und allein!
    Wieder wich sie seinem Blick aus, als fürchte sie sich vor den Fragen, die auf sie zukommen mussten. Mythor aber empfand keinen Groll. Im Gegenteil schlich sich Freude über das Wiedersehen, so unverhofft es auch kam, in sein Herz. Für einige Augenblicke gelang es ihm sogar, die drängenden Einflüsterungen des Helmes zu ignorieren, die wieder stärker wurden, als erkenne der Helm die Gefahr, die von Kalathee ausging, als fürchte er, dass Mythor sein Ziel aus den Augen verlieren könne.
    Plötzlich, nachdem sie sich lange scheu gegenübergestanden hatten, wobei keiner von ihnen die ersten Worte fand, warf Kalathee sich Mythor laut schluchzend in die Arme. Oben im Laubwerk raschelte es heftig, als habe ihre Stimme die Wächter des Baumes auf den Plan gerufen. Doch die Januffen blieben verborgen.
    »Oh, Mythor!« schluchzte Kalathee, und der Sohn des Kometen umfasste ihre zierlichen Schultern mit dem linken Arm und drückte sie an sich. »Vergib mir!«
    »Still«, flüsterte Mythor. »Sei ganz still.«
    Sie machte sich von ihm los und starrte ihn an. Tränen rannen über ihre blassen Wangen. »Es .. . war nicht meine Schuld, Mythor! Es war Luxon, der mich zu dem trieb, was ich tat!«
    Mythor war so tief bewegt, dass ihm gar nicht der Gedanke kam, wie Kalathee ohne Hapsusch den Weg hierher gefunden haben konnte, wie sie überhaupt nach Leone gekommen war. Er strich sanft über ihre Wangen und wischte die Tränen ab.
    »Du bist zurück«, sagte er leise. »Nur das ist wichtig.«
    Wie zur Antwort verstärkte der Helm der Gerechten seine Signale so sehr, dass Mythor versucht war, ihn abzusetzen.
    »Es ist nicht gut, denn du musst mich verachten«, brachte sie weinend hervor. »Oh, Mythor, Luxon hat mich gezwungen, mit ihm zu gehen. Ich wollte auf dich warten, nur auf dich.« Es war, als habe sie Jahre darauf gewartet, sich das von der Seele zu reden. Flüchtig blickte Mythor sich nach Hapsusch um, doch nichts war vom Lebensgärtner zu sehen.
    »Als ich am Nadelfelsen auf dich wartete«, schluchzte Kalathee, »da kam er, und er sagte, dass er der wahre Sohn des Kometen sei. Ich lachte ihn aus, Mythor, aber er… er blendete mich mit seinen Worten. Ich wurde wankelmütig und…« Sie packte Mythors Schultern mit ihren zarten Händen. »Mythor, das alles hätte nie geschehen können, hättest du mich nicht behandelt, als ob ich dir gar nichts

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