Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
allein in der Stube. Die Flammen griffen immer mehr um sich. Durch den Rauch konnten sie kaum noch etwas erkennen. Bardas eilte zur Theke und öffnete eine Bodenluke, die hinter dem Tresen verborgen lag. Ohne ein Wort verschwand er durch die Öffnung.
»Folgen wir ihm!« Heinrich wollte nicht, dass man ihm half. Er taumelte zu der Luke, schwang die Beine matt über den Rand und ließ sich durch das Loch fallen. Anno hörte ihn unten dumpf aufschlagen und dann fluchen.
»Alles in Ordnung?«
»Meine Schulter, verdammt. Komm herunter! Der Junge kennt einen Fluchtweg. Das hier unten sieht aus wie eine Vorratskammer, aber es gibt einen Mauerdurchbruch …«
Die Schankstube stand inzwischen in hellen Flammen. Anno sah zur Decke hinauf. Im ersten Geschoss lag ihr Zimmer mit seinem neuen Bogen! Jedes Ziel hatte er damit getroffen, und jetzt würde der Bogen einfach verbrennen, zusammen mit all ihrem Gepäck! Zum Glück hatte er ihr
Reisegeld, all die Gold- und Silbermünzen des Erzbischofs, in seinem breiten Ledergurt verborgen.
»Komm endlich, du verdammter Dickschädel«, klang es keuchend aus dem Kellerloch. »Da oben ist keine Schlacht mehr zu gewinnen!«
Anno seufzte. Es war zu gut gewesen, um von Dauer zu sein. So war es immer in seinem Leben. Wann immer er glaubte, einen Zipfel des Glücks fest in Händen zu halten, entglitt er ihm wieder. Wenigstens hatte Heinrich ein wenig Glück im Unglück. So schlimm konnte es ihn nicht erwischt haben, so wie er schon wieder bei Stimme war. Anno blickte ein letztes Mal zu seiner Zimmertür, wo der Bogen verbrennen würde, der vielleicht sein Leben verändert hätte, dann schwang er die Beine durch die Bodenluke und ließ sich fallen.
Als Ludwig erwachte, lag er mit dem Gesicht im Wasser. Wild um sich schlagend, versuchte er sich zu retten, als ihn eine Faust im Nacken packte und hochzog.
»Verdammter Säufer«, brummte die vertraute Stimme Annos.
Benommen sah Ludwig sich um. Sein Freund hatte ihn aus der Pferdetränke gezogen. Sie waren im Stall. Die Pferde wieherten und traten gegen die Seitenwände ihrer Boxen. Es roch nach Rauch!
»Was soll …« Als Ludwig drei Schritt vor ihm Heinrich entdeckte, verstummte er abrupt. Die Schulter des Ritters war blutüberströmt. Er bemühte sich, mit der Rechten einen Sattel auf den Rücken seiner Stute zu werfen.
»Wo ist dein Schwert?«, herrschte der Sennberger Ludwig an und schüttelte ihn dabei wie einen jungen Hund.
»In unserer Kammer!«
»Beim Barte Satans, was bist du nur für ein Ritter! Lässt dein Schwert herumliegen!« Anno trat gegen die leeren Weinkrüge auf dem Boden. »Verkriechst dich im Stall, um dich zu besaufen.« Die Augen des Ritters funkelten drohend. »Dein Freund, der Steuermann, ist tot!«
Pochender Schmerz wütete hinter Ludwigs Stirn. Alles ging in seiner Erinnerung durcheinander. Die Nacht mit Marina … Und Orlando … War er nicht eben erst im Stall gewesen, um ihm noch einen Krug Wein zu bringen?
»Draußen sind Mordbrenner, die uns ans Leben wollen. Jetzt hilf mir!« Anno deutete auf eine Bodenluke zwischen dem Stroh, die Ludwig noch nie aufgefallen war. »Wir bekommen gewiss gleich Besuch.« Der Sennberger packte ein Ende der Tränke und begann daran zu zerren.
»Mach die Luke zu!«, fauchte der Ritter.
Ludwig gehorchte. Dann half er seinem Freund, die Tränke über die Falltür zu stellen.
Anno lächelte grimmig. »Hier kommt keiner mehr rein!« Er wies zum Tor des Stalls, wo ein kleiner Junge durch eine Spalte im Holz nach draußen spähte. »Sattle ihm ein Pferd. Ohne ihn wären wir schon tot!«
Ludwig blinzelte. Er kannte den Kerl! Es war der Junge, dem er zum Kloster gefolgt war.
Der Rauch wurde immer beißender. Eines der Pferde hatte sich losgerissen und stürmte auf den Sennberger zu. Doch der Ritter schaffte es, ihm ein Seil um den Hals zu werfen und es so hart zur Seite zu reißen, dass der Hengst zu Boden stürzte. »Du hast mir schon immer gefallen, du Wildfang!« Er winkte Ludwig zu. »Sattle dem Jungen mein Pferd!«
Ludwig gehorchte. Wie in einem Traum gefangen führte
er die Befehle aus. Alles erschien ihm seltsam unwirklich. So weit entfernt von der Welt, in der er eingeschlafen war. Als die Pferde gezäumt waren, befreiten sie die übrigen Tiere. Anno half Heinrich in den Sattel und lenkte sein Pferd zur Stalltür. Die Tiere wieherten ängstlich und keilten aus. Der Rauch wurde immer dichter.
»Nimm das hier!« Anno warf Ludwig eine Heugabel zu. »Das ist besser
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