Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
auf. Eine Öllampe beleuchtete eine über dem Wasser gelegene Mauernische. Sie erinnerte den Ritter an die Nischen in den Wänden von Grüften, die er in Mailand gesehen hatte. Wollte der Junge sie hier lebendig begraben? Was für eine Art Rettung war das! Anno erkannte Ludwigs Schattenriss. Bardas steuerte nun zielstrebig auf das Versteck zu. Ludwig winkte ihnen.
Der Junge hatte jeden der drei Ritter einzeln herüberbringen müssen. Als das Floß schließlich sein Ziel erreichte, zeigte sich, dass es sogar eine kleine Treppe gab, die zur Nische hinaufführte.
Anno sprang zu den Stufen hinüber. In der Nische lagen einige Strohsäcke als notdürftiges Nachtlager. In drei großen Amphoren schienen Vorräte gelagert zu sein. Der Ritter blickte zu der leblosen Gestalt auf den Säcken. »Wie geht es Heinrich?«, flüsterte er.
Ludwig machte ein ernstes Gesicht. »Hier wird er nicht lange überleben.«
Bardas hatte sich indes wieder von der Treppe abgestoßen. Er deutete mit seiner langen Holzstange zur Decke der Höhle.
»Zenon!« Nachdem er den Namen des Mönchs gerufen hatte, stakte er davon.
Anno schaute dem Jungen nach, bis selbst das Öllicht des Floßes in der Finsternis verschwand. Nie zuvor in seinem Leben hatte sich der Ritter so verloren gefühlt. Wenn der Junge nicht zurückkehrte, würden sie von hier niemals mehr fortkommen. Kein Kerker der Welt wäre sicherer als diese Nische inmitten der Finsternis. Mit mulmigem Gefühl betrachtete er die rußende Flamme des Öllämpchens, das auf der obersten Stufe der Treppe stand.
»Mach mir nichts vor, Zenon.« Heinrich hatte das Gefühl, dass ihn die paar Worte so viel Kraft wie ein Tagesritt unter glühender Sommersonne kosteten.
»Du brauchst ein bisschen Ruhe, dann bist du wieder auf den Beinen.«
Der Ritter versuchte in den Augen des Mönchs zu lesen,
wie viel Wahrheit in seinen Worten lag. Heinrich fühlte sich mehr tot als lebendig. Immer wieder verschwammen die Gesichter seiner Kameraden vor seinen Augen.
Zenon beugte sich so dicht über ihn, dass Heinrich den Atem des Mönchs auf der Wange spüren konnte. »Ich habe endlich eine Spur«, flüsterte er. »Eine Stunde, nachdem du gegangen warst, habe ich einen Codex durchgeblättert, in den man verschiedene beschädigte Texte neu eingebunden hat. Es war auch eine Vita der heiligen Helena dabei. Offensichtlich ein sehr alter Text. Eine der letzten Seiten ist mit einem Messer sauber herausgeschnitten worden. Der letzte Satz davor lautet: Es begab sich fünf Jahre nach der Auffindung des heiligen Kreuzes, dass die Kaiserin beschloss, noch ein weiteres Mal nach Judäa zu reisen, um dort …«
»Und weiter?«, keuchte Heinrich matt. Welchen Hoffnungsschimmer hatte Zenon in diesen Worten entdeckt? Vielleicht war er ja zu verwirrt, um es zu begreifen. Oder zu erschöpft.
Der Mönch zuckte mit den Schultern. »Tja, das Weitere … Das ist die einzige Seite, die in dieser Vita der heiligen Helena fehlt. Ich glaube nicht, dass sie zufällig verlorengegangen ist. Später wird ihre zweite Reise nicht mehr überliefert. Es scheint, als habe man erfolgreich versucht, den Bericht darüber aus ihrer Heiligenvita zu löschen. Wahrscheinlich wurde dort erzählt, wo und unter welchen Umständen die Drei Könige gefunden wurden. Eine Erinnerung daran scheint sich allein in der Geschichte des heiligen Eustorgio erhalten zu haben. Nirgendwo sonst wird erwähnt, dass die Heilige die Drei Könige gefunden hat.«
»Aber warum hat man das getan?«
Wieder zuckte der Mönch mit den Schultern. »Ich werde
versuchen, das herauszufinden.« Er nahm einen Lederschlauch aus der großen Stofftasche, die er mitgebracht hatte, und füllte einen angeschlagenen Tonbecher mit dunkler Flüssigkeit. »Du musst das hier trinken. Danach schläfst du, als wärest du in Engelsarmen gebettet.«
Heinrich war zu erschöpft, um zu widersprechen. Gehorsam schluckte er den Kräutertrank. Er schmeckte nach wilder Minze und anderen, exotischeren Zutaten. Im ersten Moment brannte der Trank in seiner Kehle. Einen Augenblick später jedoch begann sich vom Magen her eine angenehme Wärme auszubreiten.
Heinrich wollte den Mönch noch etwas fragen, aber dann versank seine Frage in endlosem Schwarz.
Dreimal schon hatten sie die Öllampe auffüllen müssen, seit Zenon sie verlassen hatte. Anno kniete neben Heinrich, um ihm den Verband zu erneuern. Vorsichtig zog der Sennberger den blutverschmierten Umhang auseinander, in den sein Freund eingerollt
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