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Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Titel: Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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zuerst!« Der Sennberger nickte Ludwig zu. »Wenn du oben bist, werde ich Heinrich das Seil unter den Schultern durchziehen. Du wirst ihn hinaufziehen müssen.«
    Ludwig hielt die Lampe hoch und sah in das Gesicht seines verwundeten Kameraden. Heinrichs Antlitz war leichenblass. Die Lippen hatten fast keine Farbe mehr. Schweiß glänzte auf seiner Stirn. »Warte hier«, flüsterte er an Anno gewandt. »Ich sehe erst nach, wo der Junge uns hinbringt. Wir sollten Heinrich nicht …« Er blickte zum Loch in der Mauer hinauf.
    Anno nickte.
    Ludwig zog sich zu dem Spalt hoch und folgte dem Jungen. Als er in den Durchbruch stieg, sah er, wie dick die Mauer war. Mehr als einen Schritt. Bardas war in der Finsternis verschwunden. Etwas hatte sich verändert. Die Luft war kühler und feuchter. Ein Stein löste sich weiter vorne und schlug polternd auf festen Untergrund. Mit einem dumpfen Echo wurde das Geräusch zurückgeworfen, bis es schließlich verstummte. Ludwig kniff die Augen zusammen, um sehen zu können, was vor ihnen lag. Doch jenseits des kleinen Lichtkreises der Öllampe blieb die Finsternis undurchdringlich. Dieser merkwürdige Ort unter der Erde beunruhigte ihn. Er hatte ein Gefühl von Weite und Verlorensein. So als läge eine riesige Halle vor ihnen. Natürlich konnte das hier, tief unter der Erde nicht sein. Hier würden sie bestenfalls eine Gruft finden. Ein Kloß stieg ihm in die Kehle.
    Vorsichtig kroch er mit der Öllampe in die Richtung, in die Bardas verschwunden war. Fast sofort erreichte er das
andere Ende der breiten Mauer. Zu seinen Füßen glänzte Wasser. Was war das für ein Ort? Ein unterirdischer Kanal? Er streckte die Lampe so weit vor, wie es möglich war, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, doch das Licht reichte nicht bis zur gegenüberliegenden Wand. Stattdessen konnte er eine grauweiße Säule erkennen. Wie ein toter Baum, der schon lange die Rinde verloren hatte, ragte sie aus dem Wasser. Ihr oberes Ende verlor sich in der Dunkelheit.
    Ein leises Plätschern erklang. Ludwig blickte nach links. Bardas! »Bei allen Heiligen!« Der Ritter schlug hastig ein Kreuz, wobei ihm fast die Öllampe zu Boden stürzte. Der Junge schien über dem Wasser zu schweben!
    Erst als Bardas näher kam, erkannte Ludwig das grob gezimmerte Floß, auf dem der Knabe stand. Mit einer langen Stange stakte er es bis zum Mauerdurchbruch.
     
    Anno war der Letzte, der an der Seite von Bardas die Reise in die Finsternis antrat. Der Ritter stand in der Mitte des Floßes und hielt die Lampe hoch, die der Junge mitgebracht hatte. Das Wasser reichte ihm bis zu den Knöcheln. Das kleine Gefährt, auf dem Bardas sie durch diese unheimliche unterirdische Welt stakte, war nicht dafür gebaut, schwere Lasten aufzunehmen. Anno legte den Kopf in den Nacken und versuchte sich die Decke vorzustellen, die dort irgendwo in der Dunkelheit lag. Sah sie aus wie die Kreuzgewölbe einer großen Kirche? Was für ein Bauwerk war das? Ein Gotteshaus tief unter der Erde? Wozu hatte es einmal gedient? Er hatte den Eindruck, dass es hier Hunderte Säulen gab. Auch wenn sein Blick nie weit genug reichte, um mehr als zwei oder drei Säulen zugleich zu sehen. Zu klein
war der Lichtkreis, den die zitternde Flamme der Öllampe in die Finsternis schnitt.
    Dunkle Bänder an den Säulen zeigten an, wie hoch das Wasser zu früheren Zeiten in dieser gewaltigen Halle gestanden hatte. Jede der Säulen war von unterschiedlicher Beschaffenheit. Manche dicker als ein korpulenter Mann, andere so schlank wie Fichtenstämme. Die meisten waren von schmutzigem Weiß, aber es gab auch graue und sogar einige wenige von roter Farbe. Kapitelle mit verschlungenen Blattmustern, lachenden Gesichtern oder mit filigranem, vielfach durchbrochenem Rankenschmuck krönten die Säulen.
    Dieser unterirdische See war gewiss kein Werk von Menschenhand. Immer wieder wandte Anno den Kopf, um sicher zu sein, dass nirgends ein Beobachter lauerte. Es hätte ihn nicht erstaunt, wenn hinter einer der Säulen ein grinsender, bärtiger Albenkopf hervorlugen würde. So musste das Reich des kleinen Volkes aussehen. Es hieß, sie bewohnten riesige Hallen im Herzen von Bergen. Bisher hatte Anno die Geschichten darüber stets für das abergläubische Geschwätz von alten Jungfern und verrückten Troubadouren gehalten, doch jetzt würde es ihn nicht wundern, wenn ihn dieser seltsame Junge geradewegs zu den goldenen Pforten eines Zwergenkönigreichs führen würde.
    Vor ihnen tauchte ein Licht

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