Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
seinem Keller anbot, waren falsch! Anno griff nach dem kleinen Lederbeutelchen, das er um den Hals trug. Es enthielt einen Splitter von einem der Fingerknochen des heiligen Sebastianus. Ein Vermögen hatte er dem Griechen dafür zahlen müssen, doch der Knochen würde seinen Träger vor der Pest und anderen Krankheiten schützen.
Sebastianus war ein Krieger gewesen, so wie er. Ein Mann, der den Schlachtenlärm gekannt und geliebt hatte. Er war ein guter Schutzpatron! Das hatte sich schon am Nachmittag gezeigt! Als Anno den neuen Bogen einweihte, hatte er
nicht ein einziges Mal die große, stoffbezogene Wand und die Strohbündel verfehlt, die als Ziele aufgestellt waren. Langsam begann er Konstantinopel zu mögen. Die Reise in diese Stadt war doch nicht ganz vergebens gewesen.
Von draußen erklang Geschrei. Irgendwelche Hitzköpfe waren wieder aneinandergeraten. Hier am Hafen hörte das laute Treiben nie auf.
Jemand schlug schwer wie ein Katapultstein gegen das Tor der Schenke. Sogar Orlando, der venezianische Steuermann, mit dem Ludwig immer unterwegs war, schreckte über seinem Wein auf. Anno schlug spielerisch seine rechte Faust in die hohle linke Hand. Eine kleine Schlägerei zum Ausklang des Tages käme ihm gerade recht.
Die Tür schwang auf. Heinrich taumelte in den Schankraum. Er keuchte schwer und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. In der Hand hielt er ein blutiges Schwert! Sofort verstummten alle Gespräche in der Schänke.
Anno sprang auf. Ein Dolch ragte aus dem Rücken seines Freundes. Schwankend kam Heinrich auf ihn zu. »Verrat … Wir …« Der Ritter stürzte schwer auf den Tisch.
»Was, zum Teufel!« Anno lief zur Tür. Orlando eilte an seine Seite. Noch bevor sie einen Schritt auf die Gasse gemacht hatten, schlug ein Pfeil in die Brust des Venezianers. Anno packte die schwere Tür, warf sie zu und legte den Sperrbalken in den Riegel. Bogenschützen in der Stadt! Was ging hier vor?
Eine Öllampe flog durch eines der offenen Fenster. Flammen leckten über den Holzboden. Panik brach unter den Gästen aus. Sie drängten zur Tür und zu den Fenstern. Zwei wurden von Pfeilen niedergestreckt.
Anno eilte zu Heinrich und hob den Ritter auf die Arme, um ihn hinter einem Weinfass in Deckung zu bringen. Die meisten Gäste hatten es inzwischen geschafft, durch die Türen und Fenster zu entkommen. Anno spähte nach draußen und konnte sehen, wie alle, die auf die Gasse flohen, gepackt wurden und man bei Fackellicht ihre Gesichter begutachtete. Diese Bastarde dort draußen suchten jemanden! Ein Pfeil zischte an Annos Wange vorbei und schlug in die Rückwand.
Ein Stück neben ihm lag Orlando. Er kroch zu dem Venezianer. Der Seemann hatte die Hände um den Pfeilschaft geklammert. Blut quoll zwischen seinen Fingern hindurch. »Ich hatte immer gedacht, ich würde einmal ertrinken«, keuchte er. »Hab wohl zu den falschen Heiligen gebetet.«
Krachend zersplitterte eine weitere Öllampe auf dem Holzboden. Anno griff nach einem Krug und schüttete Wein in die Flammen, um sie zu löschen, doch vergebens. Der Wirt lief fluchend in seiner Schenke auf und ab und schlug mit einem Umhang auf das Feuer ein.
Wieder flog eine Lampe durch ein Fenster. Anno sah sich verzweifelt um. Sie mussten hier hinaus, oder es würde ihnen ergehen wie den Burgundern in der Festhalle am Etzelshof. Er lief zu Orlando. »Komm, Steuermann, ich bringe dich in einen sicheren Hafen.«
Doch Orlando konnte ihn nicht mehr hören. Seine Augen waren weit aufgerissen und blickten ins Nichts. Anno ballte hilflos die Fäuste. »Verfluchte Griechen!« Hätte er nur seinen Schild und seine Rüstung hier. Gewappnet würde er hinausstürmen und es diesen Bastarden zeigen.
Anno blickte zu Heinrich. Der Ritter war sehr blass. Ein Junge kniete neben ihm. Es war ein Kind von höchstens
zwölf Jahren, nur mit einem Lendentuch bekleidet und hager wie der Tod. Der Kleine winkte ihm zu, und Heinrich nickte matt, wie um die Geste zu bestätigen.
Anno kroch zu den beiden hinüber. Rauch begann den Schankraum zu füllen. Der Junge deutete nach draußen und fuhr sich dann vielsagend mit einem ausgestreckten Finger über die Kehle.
»Wer bist du?«, brummte Anno gereizt.
Heinrich richtete sich ein wenig auf. Sein Gewand war blutdurchtränkt. »Der Junge versteht dich nicht. Er ist ein … Vertrauter von Zenon … Er heißt Bardas. Wir können ihm trauen. Ich glaube, er will uns etwas zeigen.«
Inzwischen war sogar der Schankwirt geflohen. Sie waren
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