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Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Titel: Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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einen Esel schreien.
    Neugierig musterte Heinrich die Mauer. Sollte es eine Geheimtüre geben? Doch nichts wies darauf hin. Demetrios pfiff auf zwei Fingern. »Manche lernen das nie! Es ist nicht jeder zum Torwärter geeignet.«
    Über ihnen schwenkte ein Schatten über den Mauerrand. Ein langer Balken, an dem ein großer, geflochtener Korb hing. Ein quietschendes Geräusch erklang. Langsam senkte sich der Korb zu Boden. Er war aus zäher Palmrinde geflochten und mit einigen Seilen verstärkt. »Wie ihr seht,
muss jeder, der unser Kloster betreten will, zunächst einmal fliegen lernen wie ein Englein.« Demetrios lachte und musterte sie dabei der Reihe nach. »Wer ist der Erste?«
    Heinrich zögerte und betrachtete den Korb. Er sah nicht sonderlich vertrauenerweckend aus. Abgenutzt und an zwei Stellen geflickt, hatte er wahrscheinlich schon mehr Jahre auf dem Buckel als der älteste Mönch im Kloster.
    »Jedes Mal dasselbe mit Neuankömmlingen«, brummte Demetrios freundlich. »Was ist denn schon dabei, in einen Korb zu steigen? Denkt nur an den Propheten Moses. Er musste sein Leben einem noch viel kleineren, zerbrechlicheren Körbchen anvertrauen, und das in einem Alter, wo er nicht einmal den Namen des Herrn auszusprechen vermochte.«
    Heinrich fasste sich ein Herz. »Ich gehe zuerst.« Er schwang sich über den Rand des Korbs, der ihm bis zur Hüfte reichte. Seine Form hatte ein wenig Ähnlichkeit mit einem Fass, dessen Dauben sich verzogen hatten.
    Wieder stieß Demetrios einen schrillen Pfiff aus. Wie zur Antwort erklang von der Mauer ein müdes Quietschen, und der Korb wurde sanft schwankend in die Höhe gehoben. Unsicher klammerten sich Heinrichs Hände um den Rand des Korbs. Der Ritter bemühte sich, so gelassen wie möglich zu wirken. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, bis der Korb über die Zinnen schwenkte und unsanft auf dem breiten Wehrgang der Mauer aufsetzte. Zwei Mönche, die eine große Seilwinde bedient hatten, halfen ihm herauszuklettern und ließen den Korb sogleich wieder hinab.
    Froh, festen Boden unter den Füßen zu haben, lehnte sich der Ritter an das hölzerne Geländer auf der Rückseite des Wehrgangs und ließ den Blick schweifen. Innerhalb des
Mauergevierts drängten sich etliche kleinere und größere Häuser. Schiefe Mauern säumten enge Gassen, ein Turm mit kühnen Bogenfenstern überragte das Gewirr der Dächer, und zwischen dem Durcheinander wölbte sich sogar die kleine, weiß getünchte Kuppel einer Moschee. Hinter vielen der Fenster leuchteten schon Lampen. Das Licht der untergehenden Sonne tauchte die Häuser in warme Rottöne. Heinrich ging das Herz auf. Er liebte diesen Ort auf den ersten Blick. Dies war ein Platz, an dem man die Welt vergessen konnte. Glücklich mussten jene sein, denen Gott es bestimmt hatte, hier zu leben.
    Von irgendwoher aus dem Labyrinth der Gassen klangen die leisen Stimmen eines Chores. Eine ungeheuere Sehnsucht erfasste Heinrich. Wenn er die Tage richtig gezählt hatte, musste es schon November sein. Wie lange hatte er Clara nicht mehr gesehen? In beinahe jeder Nacht, kurz bevor er einschlief, stand ihr Bild vor ihm; genauer jener Augenblick, als sie ihm ihr Tüchlein überreicht hatte. »Ritter des Winters«, flüsterte er vor sich hin, und ihm ward das Herz so schwer, dass ihn auch der Zauber dieses verwunschenen Klosters inmitten der Bergwüste nicht zu trösten vermochte.
     
    Die Mönche drängten nach dem completorium, dem Nachtgebet, aus der Basilika, dem größten Gebäude des Klosters. Matt glühten die weihrauchgefüllten Ampeln unter der Decke und beleuchteten die schwarzen Kapitelle der Säulen, die das Mittelschiff trugen. Eines der Kapitelle erinnerte an den sich windenden Leib einer Schlange. Nach dem Auszug der Mönche war es bedrückend still in dem Raum, der eben noch von vielen verschiedenen Stimmen widergehallt
hatte. Noch nie war Heinrich in einer solch prachtvollen Kirche gewesen. Neun Kapellen schlossen sich an die Seitenschiffe und die Apsis an, und in jeder wurden kostbare Reliquien von Heiligen verwahrt. Eine war sogar dem heiligen Konstantin und seiner Mutter, der Kaiserin Helena, geweiht.
    Heinrich seufzte. Natürlich wurden im Kloster auch viele Texte über die heilige Helena verwahrt. Die meisten Lebensbeschreibungen der Kaiserin waren in Analectae zu finden, Sammlungen verschiedener Heiligenviten und anderer Texte. Doch in keinem der Bücher hatten sie bisher eine Spur jenes Urtextes entdeckt, von dem Zenon behauptete,

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