Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
dass er gesäubert worden war, nachdem die Heiligen Drei Könige für die byzantinische Kirche verlorengingen.
Langsam begann Heinrich daran zu zweifeln, dass der griechische Mönch Recht hatte. Wusste der Teufel, was für Seiten man aus dem Codex entfernt hatte, der Zenon in Konstantinopel in die Hände gefallen war. Zu allem Überfluss waren die meisten Texte in griechischer Sprache verfasst, so dass Heinrich sie nicht lesen konnte. Es war also wieder einmal Zenon allein, der die Nachforschungen anstellte. Heinrich hatte indessen schon sieben lateinische Fassungen des Matthäus-Evangeliums gelesen und war gemeinsam mit Zenon zu der entmutigenden Erkenntnis gekommen, dass nicht einmal die Namen der Drei Könige in den verschiedenen Codices übereinstimmten!
Hießen sie bei den Lateinern Caspar, Melchior und Balthasar, so nannten die Griechen sie meist Galgalat, Magalat und Sacharin oder auch Bithisarea, Melichior und Gathaspa. Außerdem war Zenon vor zwei Tagen noch auf einen
hebräischen Text gestoßen, in dem von Appelius, Amarius und Damascus die Rede war.
»Du siehst niedergeschlagen aus.«
Heinrich fuhr erschrocken herum. Hinter ihm stand Zenon. Er hatte den Mönch nicht kommen gehört! Manchmal war ihm der Grieche immer noch unheimlich.
»Geht es dir gelegentlich auch so, dass du nicht mehr weißt, was von all dem, was in der Bibel steht, wohl stimmen mag?«
Zenon nickte. »Ja, aber wir stehen mit unseren Zweifeln nicht allein. Was glaubst du, warum auf den großen Konzilen so oft und so verbittert gestritten wird. Jeder, der sich ernsthaft mit der Bibel auseinandersetzt, wird früher oder später auf Widersprüche stoßen, die zunächst nicht vereinbar scheinen. Man kann seinen Geist dagegen verschließen, wie es die meisten tun, doch solches Handeln tötet auf Dauer den Verstand. Ich schätze den Zweifler!«
»Aber wie kann ich in meinem Leben einer Sache sicher sein, wenn mein Glaube schwindet?«
»Erinnerst du dich, wie ich dir gesagt habe, man müsse die Bibel mit dem Herzen lesen? Das ist der eine Weg, der dich zum Frieden führen mag. Beachte die Gleichnisse und Gebote der Bibel, und lebe danach.«
»So wie du sprichst, gibt es also noch einen zweiten Weg?«, fragte Heinrich.
»Es gibt Menschen, bei denen der Verstand nicht auf die Stimme des Herzens zu hören vermag. Es sind bemitleidenswerte, getriebene Geschöpfe, deren Geist sich unablässig wie eine hungrige Schlange windet. Menschen, die nicht einfach glauben können, sondern stets nach einem Beweis verlangen.«
»Gehörst du zu diesen Menschen?«
Einige Augenblicke herrschte Schweigen. Heinrich glaubte schon, dass er keine Antwort bekommen würde, als Zenon ihm schließlich entgegnete: »Diese Frage muss ein jeder für sich selbst beantworten, und manchmal ist es weiser, seine Erkenntnis nicht mit anderen zu teilen.«
»Und welchen Weg beschreiten diese getriebenen Geschöpfe nun?«, fragte der Ritter weiter.
Der Mönch seufzte. »Selten habe ich einen Menschen getroffen, der so viele Fragen stellt. Aber in diesem Fall darf ich dir die Antwort wohl nicht schuldig bleiben. Weißt du, was ein Syllogismus ist?«
Heinrich schüttelte verlegen den Kopf.
»So nennt man eine Schlussfolgerung vom Allgemeinen auf das Besondere. Der Syllogismus folgt einem Dreischritt. Man stellt eine praemissa maior auf, hält eine praemissa minor dagegen und kommt zur conclusio.«
»Das hört sich sehr gelehrt an.«
»Es ist einfacher, als es sich zunächst anhört. Nehmen wir ein Beispiel. Sagen wir, die praemissa maior ist: Alle Menschen sind sterblich. Stellen wir dagegen die Aussage: Alle Könige sind Menschen. Würdest du dem so weit zustimmen?«
Heinrich nickte.
»Gut. Die conclusio aus diesen beiden Prämissen ist: Alle Könige sind sterblich! Syllogismen«, fuhr Zenon in selbstgefälligem Ton fort, »sind die Anker im Leben des Zweiflers. Finde einen Beweis für deinen Glauben!«
»Aber was für einen Nutzen hat das Wissen, dass alle Könige sterblich sind? Das ist doch offensichtlich!«
»Hast du schon einmal einem Herrscher gegenübergestanden?
Sie sehen sich gerne als Geschöpfe, die weit über normalen Sterblichen stehen. Dabei sind sie genau wie du und ich von einer Mutter geboren, und dies wiederum geschah, weil vor langer Zeit einmal ein Mann und ein Weib ihren Trieben nachgaben. Trotzdem stehst du vor ihnen und fühlst dich klein und unbedeutend. Doch dafür gibt es eigentlich keinen Grund! Sie sind nicht besser als du.«
»Aber
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