Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
kühl geworden, und er wäre gern bei dem Feuer vor der Hütte geblieben.
»Wir werden nicht allein sein.« Zenon zog einen halbvollen Weinschlauch hervor, den er hinter seinem Rücken versteckt hatte.
»Und wir werden wirklich ein Wunder erleben?«
»So Gott will!«
»Zur Hölle!« Heinrich rieb sich die aufgeschürften Knie und blickte in das Tal hinunter. Deutlich war die große Klosterfestung weit unter ihm zu erkennen. Im fahlen Mondlicht wirkte sie, umgeben von hellem Sand, wie ein riesiger Fels, der vor Jahrhunderten aus der Flanke des Berges gebrochen worden war.
»Alles in Ordnung?«, fragte Zenon.
Heinrich tastete über seine schmerzenden Knie. Wie hatte er nur zustimmen können, in der Dunkelheit einen Pfad hinaufzuklettern, der selbst Ziegen abschrecken würde?
»Wir haben es geschafft!« Zenon war über ihm zwischen den Felsen verschwunden. »Hier muss es sein. Doch ich fürchte, wir werden bis zur Dämmerung warten müssen, um Genaueres zu erkennen.«
Heinrich seufzte und machte sich auf, das letzte Stück hinter sich zu bringen. Die Anstrengung und die kühle Luft hatten die Wirkung des Weins fast wieder aufgehoben. Dieser
überraschende Ausflug passte so gar nicht zu Zenon. Unwillkürlich musste Heinrich an den Streit vor den Toren Escalons denken. Hatte Anno nicht behauptet, sobald sie das Geheimnis um den dritten König gelüftet hätten, würde der Mönch sich ihrer entledigen, um die kostbare Reliquie für sich allein zu behalten?
Der Ritter hielt inne. Er hatte einen Felsvorsprung erreicht, der weit über den steilen Weg hervorragte. Ein falscher Schritt, und er würde in die Tiefe stürzen! Und es würde wie ein Unfall aussehen. Kein vernünftiger Mensch wäre bei Nacht hier heraufgeklettert! Nur ein Betrunkener, und die hielten sich bekanntlich nicht besonders gut auf den Beinen!
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Zenon.
»Ich glaube, mir ist ein bisschen schwindelig.«
»Dann solltest du von der Klippe wegkommen.« Der Mönch streckte ihm die Hand entgegen.
Statt sie zu greifen, brachte sich Heinrich mit zwei großen Schritten auf sicheren Grund. Dabei hielt er so viel Abstand wie möglich zum Mönch.
Zenon machte plötzlich ein ernstes Gesicht. »Misstraust du mir jetzt auch? Bei Anno verstehe ich das … Er ist im Grunde ein schwacher Mensch, der am liebsten allem aus dem Weg gehen würde, was ihm fremd ist. Und Ludwig hat sich auf seine Seite geschlagen, seit du nicht mehr mit ihm sprichst. Er kann nicht allein sein.«
»Ludwig hätte fast meinen Tod verschuldet!«, entgegnete Heinrich ausweichend.
»Und wer bist du, dich zu seinem Richter aufzuschwingen? Er hatte sich in diese blinde Venezianerin verliebt. Wie hätte er ahnen sollen, dass seine Torheit ein solches Ende nimmt?«
»Was weißt du von Liebe, Mönch?«
»Ich bin nicht als Mönch geboren worden, Ritter! Hast du Freude daran, Ludwig zu bestrafen? Es würde dich nur ein Wort kosten, ihm seine Qualen zu nehmen. Aber zu verzeihen ist nicht deine Art. Oder beneidest du ihn insgeheim um seine Liebe?«
Heinrich zitterte vor Wut. »Wer gibt dir das Recht, so zu reden! Bist du vielleicht mein Richter? Du liebst es doch, anderen deine Überlegenheit zu zeigen. Zenon der Weise! Zenon, der Mönch, der sich den Namen eines Kaisers erwählt hat! Deine Heimlichtuerei und das Gehabe, jede Nacht für sich alleine schlafen zu müssen. Wer stellt Spiegel auf, um junge Mönche mit kindischen Spielchen zu beeindrucken? Du gibst allen, die dir begegnen, das Gefühl, dass du auf sie herabsiehst.« Die letzten Worte hatte Heinrich geschrien, so dass seine Stimme von den Felsen widerhallte. Viel zu lange schon hatte er Zenons selbstgefällige Art hingenommen!
Eine lange Zeit schwiegen sie einander an, dann öffnete Zenon seinen Weinschlauch, nahm einen tiefen Schluck und reichte ihn Heinrich.
Der Wein schmeckte ein wenig säuerlich und nach fremden Gewürzen.
»Es war eine gute Zeit mit euch Rittern. Jedenfalls verglichen mit den Tagen im Kloster. Es ist nicht gut, keine Ziele mehr zu haben. Seit dem Tag, an dem ich gestorben bin, kann ich es nicht mehr ertragen, wenn mich etwas im Dunklen berührt. Ich brauche Platz um mich herum. Allein jemanden atmen zu hören, raubt mir schon meinen Schlaf.«
Heinrich blickte den Mönch unverwandt an. Wenn der Grieche glaubte, er könne sich mit ein paar undurchschaubaren
Andeutungen sein Mitleid erschleichen, dann hatte er sich geirrt! Der Tag, an dem er gestorben war. So ein
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