Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
Annos Stimme.
»Das hängt von verschiedenen Umständen ab. Auf jeden Fall kommen wir so zum Ziel!«
»Aber könnten wir nicht in Kämpfe verwickelt werden?«, wandte Heinrich ein. »Wir nähern uns der syrischen Grenze, wo der Sultan Nur ed-Din mit seinen Horden wütet.«
»Und dort steht auch Amalrich, der König von Jerusalem, mit seinen Rittern. In dem Durcheinander, das im bedrohten Fürstentum Tripolis herrscht, werden wir kaum auffallen. Ein paar Reiter mit schwerem Gepäck sind dort ein alltägliches Bild.«
»Sollten wir den König nicht erst einmal finden, bevor wir uns Gedanken über den Weg nach Hause machen?«, ermahnte Ludwig seine Gefährten. »Was geschieht, wenn das Grab leer ist?«
Einige Augenblicke herrschte Schweigen. Dann erklärte Zenon ruhig: »Wenn das Grab leer ist, werden wir weitersuchen.«
»Bete, dass dies nicht der Fall ist, Mönch! Meine Geduld mit dir ist am Ende. Es muss andere Wege geben, um die Könige zu finden, als in Büchern herumzustöbern. Die heilige Helena hat sie schließlich auch durch Gottes Fügung entdeckt und nicht, weil sie sich in Schriften vergraben hat!«
»Und du glaubst, Gott wird dich erleuchten, Anno? Das hättest du uns früher sagen sollen. Wir hätten für dich gebetet, und uns allen wären viele Mühen erspart geblieben.«
»Halt deine lästerliche Zunge im Zaum, Mönch, oder ich schneide sie dir eines Tages heraus!«
»Gesprochen wie ein Ritter«, erwiderte der Grieche spöttisch.
»Genug!« Heinrich war offensichtlich aufgesprungen, um
den aufkeimenden Streit zu schlichten. Die Stimmung unter den vier war mehr als gereizt. Wenn er Glück hatte, würden sie sich noch gegenseitig umbringen, dachte Lupo zufrieden.
»Wir sollten uns zur Ruhe legen!«, versuchte Heinrich zu schlichten.
Der Falkner zog sich zurück. Er hatte genug gehört. Es ging also um einen der Heiligen Drei Könige. Nun galt es für ihn, Verbündete zu suchen, die kein Interesse an Reliquien hatten. Sobald die Staufer den Berg mit ihrem Schatz verließen, würde er nach Nordosten reiten, um von einem seiner Geleitschreiben Gebrauch zu machen.
24
Vorsichtig stieg Heinrich durch das Loch in der Zisternenwand. Modriger Geruch schlug ihm entgegen. Er hob die Fackel hoch, um besser sehen zu können. Die Kammer, in der er sich befand, schien aus dem Fels gehauen zu sein. Die Wände waren einmal getüncht gewesen, doch nun war die Farbe verblasst. Graue Streifen liefen an verschiedenen Stellen von der Decke bis zum Fußboden.
»Hier muss Wasser eingedrungen sein«, sagte der Mönch, der hinter ihm in die Kammer trat. »Vielleicht führte ein undichtes Wasserrohr über das Grab hinweg zur Zisterne. Das ist kein gutes Zeichen! Wasser bringt Fäulnis!«
Heinrich behagte die Skepsis nicht, die der Mönch wieder einmal an den Tag legte. Dies war der Ort, an dem die Heiligen Drei Könige ihre letzte Ruhe gefunden hatten, und es gehörte zu den Eigenarten von Heiligen, dass ihre Körper nach dem Tod nicht verfielen! Ganz gleich, ob Wasser von der Decke tropfte oder nicht.
Die Kammer war nicht sehr groß. An zwei gegenüberliegenden Wänden liefen gemauerte Sitzbänke entlang. Am südlichen Ende der Grabkammer führte eine Treppe in einen tiefer liegenden zweiten Raum. Heinrich musste sich unter einem reich verzierten Türbogen hinwegducken, um hinunterzugelangen. Hier waren vier Nischen in den Fels gehauen. Mehr als zwei Schritt lang, schienen sie dazu bestimmt gewesen zu sein, Tote aufzunehmen. Bis auf die hinterste waren die Nischen leer. Gespannt trat Heinrich näher und erschrak. Ein gelblichbrauner Schädel starrte ihn an. Der Leichnam, der hier zur letzten Ruhe gebettet worden war, war zu einem Haufen Knochen zerfallen.
Einen Moment lang rang der Ritter um Fassung. Es gab nur drei Könige! Und drei Nischen waren leer. Also war nichts anderes zu erwarten gewesen, als dass der vierte Leichnam zerfiel. Aber nein – der eine der Mailänder Könige war kein Heiliger gewesen!
Plötzlich hörte Heinrich ein knirschendes Geräusch, dann einen dumpfen Schlag hinter sich. Polternd fielen Steine zu Boden. Staub wallte bis zu ihm in die Kammer hinab. Seine Fackel begann unstet zu flackern. »Was ist passiert? Was macht ihr da oben?«
»Eine Kammer«, rief Zenon aufgeregt. »Hier ist noch eine verborgene Kammer!«
Heinrich eilte die Stufen hinauf. Der Mönch kniete vor
einem Haufen von Steinen, die ins Innere der oberen Kammer gestürzt waren.
Zenons Finger zeichnete Linien auf der
Weitere Kostenlose Bücher