Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
Baumstumpf freigelegt.
»Bald geht es wieder nach Hause!« Anno lächelte und wischte sich über das schweißglänzende Gesicht.
»Sieht so aus, als habe sich die Suche nach dem verlorenen Text gelohnt. Dort stand doch, das Grab habe unter einem Olivenbaum gelegen. Das muss hier sein!« Ludwig war nicht so ausgelassener Stimmung wie seine Gefährten, doch sah man auch ihm die Erleichterung an. Es war, als sei ein Bann von ihnen genommen.
Drei Tage hatten sie gegraben, und das Einzige, was es ihnen gebracht hatte, waren Blasen. Ludwig betrachtete die blutigen Stoffstreifen, die um seine Hände gewickelt waren. So viele Steine hatten sie zertrümmert und fortgeschafft, und wofür? Wenn es unter dem Baum einmal Gräber gegeben hatte, dann waren sie so gründlich ausgeräumt und
anschließend zugeschüttet worden, dass sich nicht die geringste Spur mehr von ihnen finden ließ.
Die Stimmung in der Gruppe hatte sich wieder verschlechtert. Anno, der anfangs wie ein Besessener gegraben hatte, war kaum noch bereit gewesen, seine Hacke in die Hand zu nehmen. Es stand einem Ritter nicht an, meinte er, die Arbeit von Leibeigenen zu tun. Und so hatte er sich auf einen Felsblock im Schatten einer verfallenen Mauer niedergelassen.
Heinrich und Zenon arbeiteten noch immer. Ihre Gesichter waren rot vor Anstrengung. Sie wollten einfach nicht einsehen, dass es sinnlos war. Wenn sie so weitermachten, würden sie bald zusammenbrechen. Es dauerte nicht mehr lange bis zur Mittagsstunde. Die Hitze war mörderisch. Keiner konnte das länger durchstehen.
Missmutig starrte er auf den Boden. Bald würden sie neues Wasser holen müssen. Welchem Idioten es wohl eingefallen war, hier eine Festung zu errichten? Wie sollte man ohne Wasser eine Belagerung überstehen? Und wie hatte der Ölbaum überlebt? Auch für ihn hatte man Wasser holen müssen. Was für eine unsinnige Plackerei.
Ludwigs Blick folgte dem Muster der Fugen, des Pflasters. Nichts als Steine gab es hier oben! Sie hätten den falschen König kaufen sollen, den Anno in Konstantinopel entdeckt hatte. Hier waren sie gefangen in einem Labyrinth falscher Fährten. So wie eine Ameise, die durch das Netzwerk der staubigen Fugen irrte, ohne dass sich ihr je der Sinn dieses Labyrinths erschließen würde. Sie waren … Sein Blick blieb an einer Fuge dicht neben seinem linken Stiefel haften. Sie war anders … Er schob mit der Stiefelspitze etwas Flugsand zur Seite. Hier war ein Stein, der sich vom übrigen
Pflaster des Hofes unterschied. Neugierig kniete er nieder und wischte mit den Händen noch mehr Sand fort. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis er eine große rechteckige Steinplatte freigelegt hatte. Ein ungeschickter Steinmetz hatte ein Kreuz und einen Brunnen in die Platte gemeißelt.
Aufgeregt winkte Ludwig seine Kameraden herbei. Auch wenn sie nicht den dritten König fanden, mochte vielleicht ein Schatz in dieser Ruine verborgen sein! Für einen Grabstein war die Platte zu klein. Gott allein wusste, was sich hier verbergen mochte!
Müde versammelten sich seine Gefährten um den Stein. Selbst Anno kam. Sie holten Stemmeisen und rammten sie in die Fugen. Mit vereinten Kräften hoben sie den Stein.
»Eine Zisterne«, erklärte Zenon in schulmeisterlichem Tonfall. »Da es hier oben kein Wasser gibt, hat man das Regenwasser gesammelt. Vielleicht findet man dort unten immer noch Wasser. Das würde uns die langen Wege zum nächsten Brunnen ersparen.«
Anno hob einen faustgroßen Stein auf und ließ ihn durch die dunkle Öffnung fallen. Ein Augenblick später hörte man ihn auf blanken Fels aufschlagen. »Wieder ein Irrtum, Mönch.«
»Wir sollten trotzdem hinuntersteigen.«
Ludwig beugte sich vor, um über den Rand zu blicken. Obwohl die Sonne nun fast im Zenit stand, reichte ihr Licht nicht bis zum Boden der Zisterne.
»Ich gehe zu den Pferden zurück und hole Fackeln und Seile«, sagte Zenon energisch, nachdem sich niemand zu seinem Vorschlag geäußert hatte.
»Und ich werde dich nicht aufhalten, wenn du unbedingt versuchen willst, dir den Hals zu brechen«, knurrte
Anno, nahm seine Hacke und zog sich wieder in den Schatten zurück.
»Wir gehen zusammen!« Heinrich bedachte den Sennberger mit einem finstren Blick. Dann wandte er sich an Ludwig. »Was ist mit dir?«
Der Ritter sah noch einmal in den Abgrund zu seinen Füßen. »Ich sichere das Seil«, erklärte er schließlich. Heinrich hatte ihm nie vergeben, was in Konstantinopel geschehen war. Seit einem halben
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