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Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Titel: Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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hintersten Wand nach. »Siehst du! Das Wasser zeigt uns, was die Tünche verborgen hat. Die Ablagerungen aus Kalk und Schmutz zeichnen den Schatten einer Tür nach!« Der Mönch hieb mit dem Griff seiner Fackel gegen die bezeichnete Stelle, und wieder stürzten Steine in die Kammer. »Das Mauerwerk ist ganz brüchig. Man braucht nicht einmal Werkzeug. Ich bin sicher, dass Helena und ihr Gefolge diese Kammer nicht gefunden haben.« Zenon packte Heinrich bei den Schultern und schüttelte ihn. »Das erklärt endlich, warum sie einen König übersehen konnten!«
    Auch Ludwig und Anno waren in die Vorkammer des Grabes eingedrungen. Mit vereinten Kräften brachen sie ein Loch durch das Gemäuer und traten in eine weitere kleine Kammer. Der Geruch von Moder und Staub hing in der Luft. Gemälde an den Wänden zeigten einen heidnischen Tempel auf einem Berg über einer Stadt und einen bärtigen König, vor dessen Thron verschiedene Gestalten niederknieten. Genau gegenüber der Wand, durch die sie eingedrungen waren, stand ein mannshoher Stein, der an ein Mühlrad erinnerte.
    »Wie in der Bibel«, flüsterte Zenon ergriffen. »Solch ein Stein muss auch das Grab unseres Herrn Jesus verschlossen haben, in dem er bis zur Auferstehung ruhte.«
    »Hoffen wir, dass nicht auch dieses Grab leer ist«, sagte Anno ungerührt.
    Heinrich hätte den Sennberger für seine grobschlächtige Art am liebsten geohrfeigt. Wie konnte er an einem solch heiligen Ort nur derartige Reden schwingen? Hatte er denn
jedes Feingefühl verloren? Oder glaubte er nicht mehr daran, dass man in diesem Grab einst die Könige beigesetzt hatte?
    Obwohl das Granitrad so schwer wie zehn Männer sein musste, ließ es sich erstaunlich leicht zur Seite rollen. Dahinter lag die bislang größte Kammer der Grabanlage. Hier gab es keinen Geruch von Moder! Heinrich schien es, als schwebe noch ein Hauch von Weihrauch durch den Raum. Er trat als Erster ein und sah sich staunend um. Dieses Grab war wahrhaft königlich!
    Die Wände waren in große, rechteckige Farbfelder eingeteilt, gesäumt von Bändern mit einem goldenen Rankenmuster auf rotem Grund. Die Farben hatten hier nichts von ihrer Kraft eingebüßt und leuchteten noch so klar wie an jenem Tag, an dem man den Stein vor die Kammer gerollt hatte.
    Genau gegenüber dem Eingang lag eine tiefe Nische. Sie war von Pilastern gesäumt. Ein Leichnam ruhte in diesem steinernen Bette. Er war ganz in Tücher eingehüllt. Ein purpurner Mantel war über ihn gebreitet.
    Auch in der linken Wand befand sich eine Nische. Sie war weniger prächtig geschmückt. Der Leichnam dort war ebenfalls verhüllt.
    Auf dem Boden der Grabkammer standen noch die Tongefäße, in denen offensichtlich Räucherwerk zur Totenfeier abgebrannt worden war.
    Heinrich kniete nieder. Klirrend schrammte seine Schwertscheide über den Boden. Für ihn gab es keinen Zweifel mehr. Dies war die Kammer des dritten Königs! Der Schwur, den er Rother geleistet hatte, war erfüllt. Das Ziel der Reise gefunden. Tränen stiegen ihm in die Augen.
Er wollte beten, doch kein Wort kam über seine zitternden Lippen. Süßer, willkommener Schmerz brandete in ihm auf, und allein seine Tränen verschafften ihm Erleichterung.
    Auch die drei anderen hatten die Grabkammer betreten und knieten nieder. Zenon flüsterte eine griechische Litanei und hielt demütig die Augen niedergeschlagen. Ludwig wirkte entrückt. Sein Blick schien durch die Wände des Grabes hindurch in weite Fernen zu reichen. Anno kniete nur mit einem Bein nieder, eine Pose, in der man weltlichen Herren seine Demut bezeugte und die es erlaubte, schnell wieder aufzustehen.
    Tatsächlich war Anno der Erste, der sich erhob. Er trat auf die Grabnische zu und zog seinen Dolch. Erschrocken sprang Heinrich auf. »Was tust du?«
    »Was mir der Erzbischof aufgetragen hat«, entgegnete Anno und beugte sich über den Heiligen. Noch bevor Heinrich ihn erreichte, begann der Sennberger mit dem Dolch die Tücher zu lösen, die das Gesicht verhüllten. Es waren breite Streifen aus feinem Leinen. Außer dem leisen Geräusch, mit dem der spröde Stoff zerriss, war es totenstill.
    Vorsichtig hob der Sennberger die losgelösten Stoffstreifen. Dann war das Gesicht freigelegt. Es gehörte einem bärtigen alten Mann mit dunkler Haut. Seine Nase war eingesunken. Eines der Augen stand ein wenig offen. Zwischen den Lidern klaffte ein schwarzer Spalt. Braune Haut spannte sich über die Schädelknochen. Am Hals des Leichnams ragte gelbbrauner

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