Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
angekommen. Meine Sorge um sie hat meinen Schritten Flügel verliehen. Wenn Ihr nun so gut wäret, Ihr von meiner Ankunft zu berichten. Ich bin sicher, dass sie mich noch empfangen wird.«
Die Dienerin machte sich auf den Weg. Ludwig wartete im Innenhof des großen Hauses. Plötzlich hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Als er sich umwandte, betrat ein Mann den Innenhof. Ludwig erinnerte sich an ihn, er war ihm schon in Konstantinopel unter dem Gesinde Dandolos aufgefallen.
»Kenne ich Euch, Mönch?«, fragte der Diener unvermittelt.
»Das wage ich zu bezweifeln. Doch wer weiß? Gottes Wege sind unergründlich. Wart Ihr schon in Aragon oder Andalusien?«
Der Diener schüttelte den Kopf. »Vielleicht irre ich mich ja. Doch sagt, was führt Euch in dieses Haus?«
Bevor Ludwig sich eine Antwort zurechtlegen konnte, erklangen Schritte auf dem Hof. Die Dienerin kehrte zurück. »Ihr hattet Recht, Bruder. Die Herrin wünscht, Euch sofort zu sehen!«
Der Ritter verneigte sich vor dem misstrauischen Diener. »Ihr entschuldigt mich.«
Er wurde über zwei Treppen hinauf zu einem kleinen Gemach gebracht. Ein Bett, das mit weißen Seidentüchern
verhängt war, füllte den Raum fast aus. Auf einem zierlichen Tisch stand eine Öllampe. Die Läden der Fenster waren verschlossen. Entlang der Wände waren Blumengebinde aufgehängt. Sie verströmten den schweren Duft des Sommers. Neben dem Bett stand ein niedriger Schemel.
»Bruder Tantris?« Die Stimme klang müde, und doch schwang auch freudige Erwartung in ihr. Sie hatte sich seit ihrer letzten Begegnung vor mehr als einem Jahr sehr verändert. »Reicht mir Eure Hand, Bruder, doch bitte … zerteilt nicht die Vorhänge, um mich zu sehen.«
Ludwig zögerte, und Marina schien seine Unentschlossenheit zu spüren.
»Bitte respektiert meinen Wunsch, Tantris.«
Er spürte, wie kalte Finger sich um seine Hand schlossen. Zärtlichkeit und Furcht lagen in ihrem Händedruck.
»Ich habe gewusst, dass du es bist«, flüsterte die Stimme. »Tantris, so nannte sich Tristan, als er todkrank an den Hof Isoldes kam und seinen wahren Namen nicht nennen konnte. Der Orden der barmherzigen Palmkreuzer … Besitzt du noch den Umhang mit dem Palmkreuz? So gern hätte ich sein Blau gesehen.«
»Der Umhang liegt zusammen mit einem Freund begraben.«
»Hat Enrico seine Meuchelmörder ausgeschickt?«
»Nein, dein Mann war es nicht. Es war …« Ludwig verstummte voller Trauer.
»Hat man dir gesagt, dass ich bald sterben werde?«
Der Ritter schwieg. Marina streichelte sanft seine Hand, so als sei er es, der Trost brauche.
»Ich fürchte mich nicht. Enrico hat Heilkundige aus aller Herren Länder zu mir gerufen, doch die Ehrlichen unter
ihnen haben mir gesagt, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Ich bin schon jetzt so müde, dass ich fast den ganzen Tag schlafe. Es heißt, mein Fleisch sei durchsetzt von Würmern, die mein Blut fressen.« Sie lachte bitter. »Wenn es stimmt, gehen sie sehr sanft mit mir um. Ich habe keine Schmerzen. Manchmal, wenn ich nachts wachliege und ringsherum alles still ist, kann ich deine Stimme hören, Tantris. Dann habe ich das Gefühl, dass ich nur geboren wurde, um dir zu begegnen. Dass die kurze Zeit im letzten Sommer mein Leben war.«
Ludwig fühlte sich beschämt. So leidenschaftlich seine Liebe zu Marina gewesen war, so wenig hatte er doch an sie gedacht, nachdem er mit seinen Gefährten aus Konstantinopel geflohen war.
»Du bist so still. Bitte, sitze nicht neben mir und schweige. Ich werde so bald schon die ewige Stille erfahren …«
»Es heißt, die Heilkundigen aus Damaskus seien die besten. Vielleicht gibt es ja doch noch Hoffnung …«
»Sprich nicht von meiner Krankheit. Sie hat mich längst besiegt. Enrico hat ganze Heerscharen von Heilern an mein Lager gerufen, und jetzt kann er es nicht mehr ertragen, in meiner Nähe zu sein. Ich glaube nicht, dass ich ihn noch einmal treffen werde. Er hat mich zurückgelassen wie ein abgetragenes Kleidungsstück.«
Ludwig fühlte sich hilflos. Er wollte sie in den Arm nehmen, so wie man ein Kind in den Armen wiegt, um es zu trösten. »Ich wünschte, ich könnte für dich auf meiner Laute spielen, so wie damals. Aber sie ist verbrannt …«
»Wären wir zwei Königskinder wie Tristan und Isolde, dann würde man vielleicht eines Tages ein Lied über uns singen. Von mir wird nichts bleiben. Von unserer Liebe wissen
nur wir. Erzähle mir von deinem Leben, Ludwig. Ich möchte unsere ganze Geschichte
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