Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
retten.
27
Anno stand am Bug des schwerfälligen Schiffes, das gegen die Brandung kämpfte. Seine Hände umklammerten das feuchte Holz der Reling. Grauer Nieselregen verwischte die Sicht, so dass Meer und Himmel in der Ferne eins zu werden schienen. Nur im Norden bahnte sich Sonnenlicht einen Weg durch die Wolken. Schwach konnte man steil gewölbte Kuppeln erkennen. Das Dach der Markus-Kathedrale. Eine Stunde noch, und sie würden in Venedig vor Anker gehen. Von dort aus waren es nur noch ein paar Tage bis Lodi.
Sorgenvoll blickte Anno hinter sich über das Deck. Ludwig war achtern beim Kapitän. Die beiden verstanden sich gut. Ihn allerdings hatten sie in ihre Freundschaft nicht eingeschlossen. Wenn Anno nichts falsch verstanden hatte, dann befanden sie sich an Bord eines der Schiffe, die jenem Venezianer gehörten, der in Konstantinopel versucht hatte, sie buchstäblich zur Hölle zu schicken. An die Einzelheiten der Geschichte konnte Anno sich nicht mehr erinnern.
Er war noch längst nicht wieder bei Kräften, und er hatte vieles vergessen. So wusste er nicht mehr, wie sie überhaupt nach Akkon gekommen waren. Und auch darüber schwieg Ludwig sich aus.
Viel zu lange hatte ihre Reise schon gedauert, verzögert durch die Winterstürme und die Handelsgeschäfte, die der Kapitän zu tätigen hatte. Manchmal hatte Anno das Gefühl gehabt, es gäbe keinen Hafen im östlichen Mittelmeer, den
sie nicht anlaufen wollten. Aber wenigstens gab es an Bord keinen schwarzen Mönch.
Ob der Mönch ihn in Venedig erwartete? Aber wie hätte er ihrer Spur folgen sollen? So hatte ihre lange Irrfahrt auch etwas Gutes.
In Akkon aber war der schwarze Mönch ständig um Anno herum gewesen. Anno konnte sich noch gut erinnern. Wann immer er während des Fiebers die Augen geöffnet hatte, stand der Mönch schweigend im Raum. Er hatte kein Gesicht gehabt. Zumindest konnte sich Anno nicht an ein Gesicht erinnern. Aber das war auch nicht notwendig. Er wusste, wer ihn verfolgte! Hier an Bord war es zum Glück anders gewesen. Irgendwann war Anno ohne Fieber erwacht und hatte auch wieder etwas essen können.
Manchmal, wenn Ludwig die stickige Kabine verlassen hatte, um sich mit dem Kapitän zum Würfelspiel zu treffen, hatte er den Heiligen König aus seinem Versteck unter dem gezimmerten Bettkasten geholt. Er hatte dann die Knoten gelöst, die Decken zurückgeschlagen und dem toten Heiligen ins Antlitz gesehen. Der Heilige war ganz gewiss der Schutzpatron Claras. Durch ihn würde sie eine goldene Zukunft haben. Die braunen Lippen des Königs waren ein wenig zurückgezogen, so als lächele er tatsächlich. Ja, das Schicksal, das sich gegen sie gestellt hatte, würde nun einen anderen Lauf nehmen. Und auch der schwarze Mönch würde sie nicht finden.
Der Fürsterzbischof fluchte stumm und legte den Brief beiseite. Drei Jahre hatte er gebraucht, um einen Spitzel unter die engsten Vertrauten des Ketzerpapstes zu bringen, und nun erhielt er die Bestätigung, dass es Alexander seinerseits
schon vor Jahren gelungen war, einen Spitzel in seine Umgebung einzuschleusen. Und ausgerechnet jenen Menschen, dem er am meisten vertraut hatte. Nur ihm hatte Rainald verraten, auf welchem Weg er nach Cöln zu reisen gedachte, nun, da die Heiligen Drei Könige endlich vereint waren.
In dem Schreiben wurde ein Brief zitiert, den Alexander an den Erzbischof von Reims geschickt hatte. »… den Urheber und das Haupt der Wirrsal in der Kirche« sollte der Reimser Erzbischof an der Reise durch Flandern hindern. Und weiter: »Du könntest nämlich in der gegenwärtigen Lage nichts tun, was Uns und der Kirche angenehmer und gefälliger wäre und wodurch Du Dir Lob und den Ruhm größerer Ehre erwerben könntest.« So wie sich das anhörte, würde Alexander gewiss Absolution erteilen, wenn er, Rainald, bei dem Versuch, ihn gefangen zu nehmen, versehentlich ums Leben käme.
Am Ende des Briefes war noch eine Liste der Kirchenfürsten und weltlichen Herren angefügt, an die ähnliche Schreiben gesandt worden waren. Ganz oben standen der König von Frankreich, verschiedene Erzbischöfe in der Lombardei und der Pfalzgraf Konrad, der Bruder des Kaisers. Wenn man den Wert eines Mannes nach Macht und Zahl seiner Feinde bemaß, dann hatte Rainald es weit gebracht.
Aber noch hatte er seinen Gegnern etwas voraus. Er wusste jetzt, wer der Verräter in seinem Gefolge war. Nur der Archipoeta konnte den Weg über Flandern nach Cöln verraten haben.
Wütend zerriss von
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