Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
Dassel den Brief. Der Dichtermönch hatte alles von ihm bekommen. Er hatte diesen Bettler eingekleidet,
sein Essen und seine Unterkunft gesichert. Und als Dank nun dieser schändliche Verrat! Er, der sonst niemandem traute, hatte mit dem Archipoeta fast all seine Geheimnisse geteilt. Wie hatte er so dumm sein können? Und wie sollte er seinen Erzpoeten bestrafen? Klagte er ihn öffentlich des Verrats an, dann würde ruchbar werden, wie man ihn hintergangen hatte. Seine Feinde bei Hof würden ihn verspotten und ihm vorwerfen, die Interessen des Reichs geschädigt zu haben. Nein, er musste wieder einmal auf Ricardo, den Söldner, zurückgreifen.
Vielleicht ließ sich noch ein letzter Nutzen aus dem Verrat des Dichtermönchs ziehen? Rainald ließ sich in dem prächtig geschnitzten Sessel nieder, den er vor so langer Zeit geschenkt bekommen hatte. Was sollte er mit dem Archipoeta tun? Er könnte Ricardo beauftragen, ihn einfach verschwinden zu lassen. Der Dichtermönch kannte das Geheimnis der Drei Könige. Allein das wäre schon ein Grund, ihn zu ermorden.
Der Kaiser war nach Italien zurückgekehrt. Es würde Ärger geben wegen des neuen Papstes. Aber ein Streit mit Friedrich dauerte nie lange. Rainald dachte daran, wie er den Kardinalbischof Guido von Crema zu Papst Paschalis III. gemacht hatte. Zwei Tage nach dem Tod Papst Victors hatte er in Gegenwart von nur zwei Kardinalbischöfen Guido zum Papst ernannt. Der Gute hatte selbst kaum begriffen, wie ihm geschah. Doch nun waren Tatsachen geschaffen, die sich nicht ohne weiteres umstoßen ließen, sollten die Kirchenfürsten auch noch so sehr gegen den neuen Bischof von Rom aufbegehren. Noch in derselben Woche waren Anno und Ludwig mit dem dritten König aus Venedig gekommen. Das war ein gutes Omen gewesen! Außerdem
wäre es zum Vorteil aller, wenn sich die Kirche dem Kaiser fügte. Es stand den Dienern des Herrn nicht an, sich über den Kaiser zu erheben.
Die Tür ging auf, und der Archipoeta trat ein. Er wirkte angetrunken und lächelte glücklich. »Ihr habt mich rufen lassen, archicancelarius?«
Rainald nahm das Messer vom Tisch, mit dem er sich zu rasieren pflegte. Prüfend glitt sein Daumen über die Klinge.
»Heiliger Mann des Rechts, ich bitt’,
möchte mit Flehn dich wecken.
Dich verehrt das ganze Volk; dich, den klugen Recken,
Es geziemt dem Großen, sich Kleiner zu erbarmen:
Güte fordert jetzt von dir, Schwache zu umarmen!
Diese Verse sind von dir, nicht wahr?« Der Erzbischof legte das Messer vor sich auf den Tisch. »Es ist nicht schwer, deine Feder zu erkennen, Dichter.«
Der Archipoeta schwankte und klammerte sich an der Rückenlehne eines Stuhls fest. »Das Lied ist Euch zum Lobpreis geschrieben!«
» Dich verehrt das ganze Volk … Es kommt wohl darauf an, wer es singt und in welchem Tonfall. Als Spottlied auf den Kaiser und die Seinen kann man es in allen Straßen hören.«
»Aber Ihr wisst, warum es so geschieht? Wenn sie dieses Lied singen, ist es kein Spott, sondern ein flehentliches Bitten. Die neuen Herren, die der Kaiser eingesetzt hat, sind ungerecht und bedrücken das Volk. Robert de Rubeis, der für den Kaiser in Mailand regiert, lässt den Geschlagenen von allen Früchten, die ihre verheerten Felder tragen, ein Drittel eines Drittels. Das Land ist reich, aber die Bewohner
hungern. Oder nehmt den Grafen Papanus, den kaiserlichen Statthalter in Padua. Keine Tochter der Stadt ist vor seinen Nachstellungen sicher. Macht er so weiter, wird er eines Morgens seinen Kopf auf einem Pfahl finden! In langem Kriege hat der Kaiser die Lombarden zum Frieden gezwungen, doch mit diesem Frieden wird er sie wieder auf das Schlachtfeld treiben. Viele sagen, sie seien lieber tot, als so zu leben!«
»Es ist nicht deine Aufgabe, mir die Politik des Kaisers zu erklären. Ich bin sein Reichskanzler. Friedrich braucht Geld für den Kriegszug gegen Süditalien, um die Normannen zu unterwerfen. Der Norden wird ihm dieses Geld bringen.«
»Einen neuen Krieg im Norden wird diese Tyrannei bringen und sonst nichts!«, ereiferte sich der Archipoeta.
»Du nennst deinen Kaiser einen Tyrannen?«
»Nicht ihn, er ist ein gerechter Herr. Aber jene, die an seiner Stelle herrschen, missbrauchen die Macht, die er ihnen anvertraut hat.« Der Mönch mied es, dem Erzkanzler ins Antlitz zu blicken.
Rainald beobachtete den hageren Dichter genau. Man konnte ihm ansehen, dass er sich fürchtete. Noch immer hielt er die Stuhllehne umklammert. Seine Nase leuchtete rot
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