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Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Titel: Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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kennen.«
    Er war froh, ihr so leicht einen Gefallen tun zu können. Ludwig begann mit seiner Kindheit und erzählte in scherzhaftem Tonfall, er habe sich wie ein zweiter Siegfried gefühlt, dem eine große Zukunft prophezeit worden war. Nur seine Stiefschwester erwähnte er mit keinem Wort. Trotzdem gelangen ihm Geschichten, die Marina gelegentlich ein leises Lächeln abrangen. Nachdem er von den Heiligen Drei Königen und seiner schwierigen Mission erzählt hatte, spürte er, wie ihre Hand sanft aus seiner glitt. Er erschrak und wollte schon den Vorhang zurückschlagen, doch dann hörte er ihren schweren, unregelmäßigen Atem. Marina war eingeschlafen.
     
    Als Ludwig zwei Tage später zum Haus des Kaufmanns kam, fand er die Türen verschlossen. Niemand regte sich auf sein Klopfen. Beunruhigt strich er durch die an das große Haus angrenzenden Gassen. Alle Türen waren versperrt und hölzerne Läden vor die Fenster gehängt. Sollte Dandolo seine Frau nach Jerusalem geholt haben?
    Schließlich trat eine junge Frau an ihn heran. »Ihr findet die Dienerschaft des Kaufherrn auf dem Friedhof der Johanneskirche. In dieser Nacht ist die Herrin gestorben.«
    Ludwig glaubte, der Himmel über ihm habe einen Riss bekommen und heraus sei ein schwarzer Blitz gezuckt, der ihm durch Mark und Bein fuhr. Die Frau redete weiter, aber er hörte ihr nicht mehr zu. Schließlich drehte er sich grußlos um und begann ziellos durch die Gassen der Stadt zu streifen. Wie fremd und verloren kam er sich vor! Doch er wagte es nicht, sich der Johanneskirche zu nähern. Mit Marinas
Tod war all seine Tollkühnheit erloschen. Er hatte Angst vor den Fragen, die ihm die Diener stellen mochten, und er fürchtete, ohne ein Gebet, ohne jedes Wort an ihrem frischen Grab zu stehen.
    Sein Weg führte ihn stattdessen in die Hafenschenke, in der er schon so viele Tage verbracht hatte. Becher auf Becher stürzte er billigen Wein hinunter, doch es war wie verflucht. So viel er auch trank, der Alkohol schien keine Wirkung zu haben. Ein wilder, tiefer Schmerz war in ihm gefangen und tötete jeden Gedanken, jedes Gefühl. Während er trank, dachte er an niemanden, nicht an Anno, der immer noch schwer krank darniederlag, nicht einmal an seine Stiefschwester.
    Es war längst tiefe Nacht, als er die Schenke schließlich verließ. Niedrige Wolken verbargen den Mond, und ein kalter Wind jagte vom Meer über die Stadt. Die Johanneskirche lag nicht weit vom Hafen entfernt neben dem Ordenshaus der Templer. Das Tor zu dem kleinen Friedhof hinter dem Kirchturm war unverschlossen. Hoch oben heulte der Wind im Glockenstuhl seine eigene Totenklage. Obwohl noch kein Stein gesetzt worden war, fiel es ihm nicht schwer, Marinas Grab zu finden. Man hatte es mit Palmblättern und Blumen überhäuft.
    Ludwig kniete nieder. Er hatte nichts mitgebracht. Keine Blumen und keine feierlichen Worte. Er war für diesen Abschied nicht bereit gewesen. Seine Hände strichen über die toten Blumen, die vorgestern noch in Marinas Zimmer gehangen hatten.
    Vielleicht sollte auch er sterben. Hier an ihrem Grab. Er war zu müde für dieses Leben, für diese Mission, die Heiligen Drei Könige nach Cöln zu bringen.

    »Tantris?«
    Erschrocken fuhr Ludwig herum. Wie aus dem Nichts war hinter dem Grab eine hochgewachsene, bärtige Gestalt erschienen.
    »Marina hat mich geschickt. Sie ahnte, dass Ihr hier sein würdet.«
    Ludwig brachte kein Wort heraus.
    »Ich bin Marcello Marvella, der Kapitän der großen Kogge unten im Hafen. Meine Herrin Marina Dandolo hat mich gestern Nacht an ihr Totenbett befohlen und mir gesagt, dass ich Euch hier erwarten sollte. Ich soll Euch bei einer …« Er zögerte. »… bei einer sündigen Tat helfen, die in höherem christlichen Interesse begangen werden muss. Ich erwarte Euch und Eure Ladung morgen Nacht hier. Wir werden mit der ersten Flut auslaufen.« Er räusperte sich und strich sich über den dichten Bart. »Ich soll Euch von meiner Herrin grüßen. Sie wünscht Euch viel Glück auf Eurem Weg. Ich weiß nicht, woher sie Euch kannte, aber ich weiß, dass Ihr der Mann seid, den sie geliebt hat. Ich bin als Mitgift der Herrin in Dandolos Dienste geraten. Ihm schulde ich keine Loyalität.« Er streckte Ludwig etwas linkisch die Hand entgegen. Dann, ohne eine Entgegnung Ludwigs abzuwarten, wandte er sich um und verschwand zwischen den Gräbern, als sei er nicht mehr als ein Geist, den Marina aus der Schattenwelt jenseits des Grabes geschickt hatte, um ihn zu

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