Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
vom Wein. Er war eine Jammergestalt, aber er wagte es trotzdem, seinem Herrn die Meinung zu sagen. Rainald wusste, dass der Archipoeta missliebige Entscheidungen gern dem Zufall überließ. Kleine Gottesurteile nannte er es. Wäre es nicht eine köstliche Ironie, wenn er nun seinerseits das Leben des Mönchs einem solchen Gottesurteil überantwortete? Er schätzte seinen Trotz und seine offene Art zu reden so sehr, dass er selbst jetzt, wo sein Verrat offenbar war, ihn nicht einfach richten lassen wollte. Eine
höhere Macht sollte die Entscheidung fällen. Auf gewisse Weise respektierte er den Mönch, so wie er damals den Byzantiner respektiert hatte, den Manuel geschickt hatte, um den Kaiser zu ermorden. Mit seinem eigenen Leben hatte er den zweiten Attentäter gedeckt. Solche Männer waren selten! Ihr Leben war ein Gut, über das man nicht leichtfertig befinden konnte.
»Wenn die Pläne des Kaisers reifen, dann wird es in diesem Lande wieder Frieden geben. Dann werden alle ungerechten Steuern erlassen, und Italien wird ein Paradies auf Erden werden. Doch dazu müssen zunächst die letzten Feinde vertrieben sein. Heute hat uns frohe Kunde erreicht!« Rainald zog die Brauen hoch, blickte zur Tür und winkte dem Mönch, ein wenig näher zu kommen.
Zögernd trat der Archipoeta vor den großen Tisch.
Der Erzbischof nahm erneut das Messer auf. »Jetzt werden wir Alexander und den Seinen die Klinge an die Kehle setzen! Es wird zu einem Bund zwischen dem Kaiser und dem Basileios Manuel kommen.« Rainald hatte die Stimme gesenkt und sprach in verschwörerischem Ton weiter. »Der Basileios hat begriffen, dass es auch in seinem Sinne ist, wenn die Normannen von Sizilien verschwinden. Und er hat gesehen, was es heißt, den mächtigsten Herrscher der Christenheit zum Feinde zu haben! Es heißt, dass man an seinem eigenen Hof gegen ihn intrigiert. Er braucht einen mächtigen Verbündeten, um seine Herrschaft zu stützen. Und er hat ganz richtig erkannt, dass es nur einen gibt, der für ein solches Bündnis infrage kommt. Sein Angebot ist fast schon unterwürfig. Er wird den Kriegszug in den Süden unterstützen, erhebt aber keine Gebietsansprüche. Und er wird sich gegen den Ketzerpapst stellen.« Rainald deutete
mit dem Dolch auf ein versiegeltes Schreiben, das vor ihm auf dem Tisch lag. »Hier sind die Bedingungen niedergeschrieben, die Friedrich an den Basileios Manuel stellt. Wenn der Bund zustande kommt, dann hat der Kaiser den Rücken frei, und sobald die Normannen besiegt sind, wird er sich gegen Alexander wenden. Und wenn der französische König den Ketzerpapst nicht in Ketten ausliefert, dann wird der Kaiser mit Heeresmacht nach Frankreich ziehen, um sich Alexander zu holen! Ich brauche einen zuverlässigen Boten, der diese Nachricht nach Konstantinopel bringt. Dir traue ich wie keinem, mein Freund, und ich weiß, dass es schon seit langem dein Wunsch ist, die Wunder von Byzanz mit eigenen Augen zu sehen. Schwöre mir, dass du mir die Treue hältst und die Geheimnisse des Reiches bei dir in guten Händen liegen.«
»So wahr mir Gott helfe!« Der Archipoeta legte feierlich die Hand auf sein Herz.
»Du wirst in aller Heimlichkeit bei Nacht aufbrechen müssen. Noch heute sollst du ausgestattet werden, wie es sich für einen Gesandten an den Hof von Konstantinopel geziemt. Doch sage zu keinem ein Wort. Diese neue Wendung hat alle anderen Pläne hinfällig gemacht. Ich werde wohl im Herbst oder vielleicht sogar erst im nächsten Frühjahr die Heiligen Könige nach Cöln bringen können. In den nächsten Wochen wird sich für Jahrhunderte das Verhältnis zwischen Kaiser und Papst entscheiden.« Rainald machte eine kurze Pause, dann fuhr er in weniger pathetischem Ton fort: »Außerdem ist es besser, wenn dich Friedrich nicht hier vorfindet. Auch ihm ist zu Ohren gekommen, was man aus deinen Versen gemacht hat. Bist du bereit, noch heute abzureisen?«
»Ich werde gehen, wohin immer Ihr mich schickt, Herr. Aber wird Barbarossa durch Eure Pläne nicht auf Jahre in blutige Kriege verstrickt werden?«
»Wenn wir Krieg führen und ein großes Ziel verfolgen, wird das die deutschen Fürsten einigen.«
»Das Kaisertum bedeutet Euch mehr als Friedrich, nicht wahr? Manchmal frage ich mich, ob er weiß, was für einen Berater er an seiner Seite hat.«
»Du darfst jetzt gehen.«
Der Archipoeta verbeugte sich. Ahnte er, dass er in eine Falle lief? Rainald blickte ihm nach. Wenn der Mönch mit dem Brief nach Konstantinopel
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