Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
mancher Krieger im Felde es mit dem Schwert vermag.« Heinrich schüttelte den Kopf und zögerte einige Herzschläge lang. Warum sollte er sich einem Mädchen anvertrauen, das keine vierzehn Sommer gesehen hatte?
»Wollt Ihr mir nicht antworten?«, klang ihre Stimme aus der Dunkelheit.
»Den Bart trage ich aus Respekt vor den Schriften eines Abtes, deren Inhalt mich tief berührt hat.«
»Ihr vermögt es, in Büchern zu lesen? Mein Vater sagt, das mache einem Mann die Augen trübe und verwirre seinen Verstand.«
Heinrich lachte. »Sehe ich denn aus wie ein triefäugiger Narr?«
»Gewiss nicht, Herr, doch – verzeiht mir – vermag ich nicht zu erkennen, was die Worte eines Abtes damit zu tun haben, dass Ihr einen Bart tragt.«
Der Ritter sah sie durchdringend an. »Deine Sturheit ist wohl das Erbe deines Vaters.« Gleich darauf taten ihm seine harschen Worte leid. »Der Abt, von dem ich sprach, kam aus den Landen des Königs von Frankreich, Bernhard von Clairvaux lautete sein Name. Er predigte mit flammenden Worten das Lob der neuen Ritterschaft. Er war es auch, der
Konrad, den Vater des Kaisers, dazu brachte, einen Kreuzzug ins Heilige Land zu unternehmen.«
»Und die Bärte?«
»Nun, Bernhard von Clairvaux prangert das allzu vergnügungssüchtige Rittertum an. All die Edlen, die von Turnier zu Turnier ziehen und sich nach der neuesten Mode der Höfe in Frankreich kleiden. Der Abt Bernhard hat das Heilige Land bereist und ist dort Rittern begegnet, die wie Mönche leben. Es heißt, sie seien nie gekämmt, selten gewaschen, mit wildem Bartwuchs, stinkend und schweißbedeckt, geschwärzt von ihren Harnischen und der Hitze.«
Clara runzelte die Stirn. »Sie stinken noch mehr als die Ritter in diesem Heerlager? Daran kann ich nichts Heiliges finden! Und wie kann ein Mönch ein Schwert in die Hand nehmen?«
»Zieht dein Vater in den Krieg, um deinen Fragen zu entgehen?« Heinrich begann die Geduld zu verlieren. »Wenn ich dich noch einmal draußen am Rand des Lagers sehe, werde ich es ihm sagen müssen!«
»Kann ich Euch denn nicht auf Euren Wachen Gesellschaft leisten? Bei Euch wäre ich doch nicht in Gefahr.«
Der Ritter seufzte. Ein junges Mädchen als Gesellschaft, das würde ihm noch mehr Spott einbringen, als er ohnehin schon ertragen musste. »Es würde nur törichtes Gerede geben, wenn man sieht, dass du Abend für Abend mit mir auf einsame Hügel steigst. Dein Vater hat dich mitgenommen, weil er dich an den Hof der Kaiserin bringen will.«
Clara nickte niedergeschlagen. »Er hofft, mich besser verheiraten zu können, wenn ich zu den Kammerfrauen der Kaiserin gehöre. Wahrscheinlich an irgendeinen alten Baron,
der nur noch Suppe essen kann, weil ihm schon längst alle Zähne ausgefallen sind.«
Sie hatten Annos Zelte erreicht, aus dem kein Lichtschein mehr drang. Clara wollte schon leise hineinschleichen, als Heinrich sie zurückhielt. »Was den Bart angeht …«
»Ja?«
»Er ist ein Zeichen dafür, dass ich mich von weltlicher Eitelkeit abgewandt habe und künftig mein Schwert allein in den Dienst des Herrn stellen werde.«
3
Clara war so vertieft darin, Heinrich zu beobachten, der nicht weit von ihrem Wagen in der Marschkolonne ritt, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie ihr Vater näher gekommen war.
»Wenn du dich noch weiter vorlehnst, wirst du aus der Kutsche fallen!« Anno lachte. Augenscheinlich hatte er nicht bemerkt, wem ihre Aufmerksamkeit galt.
Clara setzte sich aufrecht, wenn sie auch bedauerte, dass Heinrich damit aus ihrem Blickfeld verschwand.
»Du solltest die Vorhänge des Wagens besser schließen, Clara.«
»Warum? Es gefällt mir, hinauszuschauen und das Land vorbeifliegen zu sehen.«
»Du musst dich besser vor der Sonne in Acht nehmen. Sie wird deine Haut verbrennen, bis du so dunkel bist wie
ein Bauersweib nach der Erntezeit. So ein Mädchen wird die Kaiserin niemals in ihrer Nähe dulden.«
Zu ihrem Leidwesen setzte ihr Vater alles daran, dass Clara ins Gefolge von Kaiserin Beatrix aufgenommen wurde. Töchter, die am Hof aufwuchsen, wurden in bedeutende Familien verheiratet. Der Preis dafür war allerdings ein Leben, das sich um Webarbeiten, Stickereien und kleinliche Hofintrigen drehte. Nichts würde Clara mehr langweilen! Sie schwor sich auszusteigen, sobald ihr Vater ein Stück weit voranritt, und neben dem Wagen zu laufen, damit die Sonne reichlich Gelegenheit hätte, ihr die Haut zu verbrennen.
»Maria!«
Die Amme, die bislang schweigend dem Gespräch
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