Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
übertragen werde, hatte Friedrich mit großen Worten erklärt. Anno war beinahe versucht gewesen, mitten auf den Platz zu treten und die Sache klarzustellen. Aber Ludwig hatte ihn zurückgehalten. Der verdammte Hurenbock steckte mit allen unter einer Decke. Manchmal traf er sich allein mit dem Erzbischof. Anno glaubte zu wissen, dass Ludwig bei diesen Gelegenheiten schlecht von ihm sprach. Dem Kerl war nicht zu trauen! Und ausgerechnet mit ihm musste er immer wieder vorausreiten, um den Weg zu erkunden.
Das verdammte Eifelland mit seinen Bergen und dichten Wäldern war wie geschaffen dazu, einen Hinterhalt zu legen. Sie hielten sich abseits der Hauptwege und kamen mit dem Karren kaum voran. Anno gab seinem Hengst die Sporen und preschte ein Stück auf dem Waldweg voraus. Da sah er ihn! Den schwarzen Mönch! Er saß auf einem Rappen. Gegen das dunkle Tannengehölz, vor dem er hielt, war er fast nicht zu erkennen. Er war ihnen gefolgt, und jetzt kam er, um ihnen die Heiligen Drei Könige zu rauben!
Der Sennberger riss das Pferd herum und galoppierte den Weg hinab.
»Er ist da!« Ludwigs Stute stieg vor Schreck und hätte beinahe ihren Reiter abgeworfen.
»Dort oben!« Anno riss hart an den Zügeln.
»Der schwarze Mönch?«, fragte Ludwig gelassen, als er sein Pferd beruhigt hatte.
»Er ist es!«
»Genauso wie der arme Weinhändler, den du in Bitburg fast erdolcht hast, weil er eine schwarze Gugel trug.«
»Komm mit, wenn du mir nicht glaubst! Wir müssen nur ein Stück den Weg hinaufreiten.« Wütend hieb Anno seinem Pferd die Sporen in die Flanken. Eine Wolke hatte sich vor die Sonne geschoben. Der Wald wurde in plötzliche Finsternis getaucht. Anno zog das Schwert. Doch als er die Stelle erreichte, an der er den Mönch gesehen hatte, war niemand mehr da. War Hexerei im Spiel? Hatte sich die Gestalt in Luft aufgelöst? Oder wurde er wirklich langsam wahnsinnig, wie die anderen längst vermuteten?
»Wo ist der schwarze Mönch?« Ludwig hatte sich nicht beeilt, den Weg hinaufzukommen.
»Er war hier«, beharrte Anno. »Er hat uns kommen sehen und ist geflohen!«
»Gewiss.« Die Stimme seines Gefährten klang müde. Er wendete sein Pferd. »Glaubst du, der Weg ist zu steil für den Karren?«
»Das weiß Gott«, knurrte der Sennberger. Wenn sie nicht auf ihn hören wollten, dann sollten sie doch in die Falle gehen!
Sie ritten zurück zu dem Karren, und bald zeigte sich, dass Ludwig mit seiner Befürchtung Recht hatte. Die beiden
massigen Kaltblüter stemmten sich ins Geschirr, dass das Leder knirschte, doch der Wagen bewegte sich kaum noch von der Stelle.
Der Erzbischof und Ricardo sprangen vom Kutschbock. Gemeinsam spannten sie die beiden Reitpferde vor den Wagen. Eine Weile kamen sie nun besser voran. Anno ging hinten am Karren und hielt einen schweren Knüppel bereit, um ihn im Notfall zwischen die Radspeichen zu stoßen. Der Weg führte hier an einem steilen Abhang entlang. Die Räder mahlten nur wenige Zoll am Abgrund vorbei. Anno fluchte. Sie hätten eine der großen alten Straßen aus der Heidenzeit nehmen sollen. Dann wären sie weit schneller vorangekommen. Doch weil von Dassel nicht wusste, wie weit die Truppen Konrads schon vorgerückt waren, zog er es vor, weiterhin unerkannt zu bleiben.
Als der Karren durch ein Erdloch rumpelte, ließ ein bedrohliches Ächzen und Knirschen Anno zusammenzucken. Für einen Moment glaubte er, eine der Achsen sei gebrochen, doch dann barst das hintere Brett am Wagen, und die gesamte Ladung auf der Pritsche geriet ins Rutschen. Anno konnte nur noch zur Seite springen und entsetzt zusehen, wie die Särge von der Ladefläche kippten. Strohballen fielen auf den Weg, und wie ein riesiges Banner wickelten sich die Stoffbahnen ab, die den Särgen zusätzlichen Schutz bieten sollten.
Einer der Särge überschlug sich und wurde gegen einen Baumstumpf geschleudert. Der Deckel sprang auf. Einen Herzschlag lang blickte Anno in das lächelnde Antlitz des dritten Königs. Dann geriet der Sarg erneut aus dem Gleichgewicht und rutschte weiter den Abhang hinunter.
So durfte es nicht enden! Ohne an seine eigene Sicherheit zu denken, stürmte Anno halb rutschend, halb laufend
die steile Böschung hinab. Weit unten im Tal schäumte ein kleiner Wildbach. Nicht auszudenken, wenn der heilige Leichnam ins Wasser stürzte.
Er hatte fast die Mitte des Hangs erreicht, als er über eine Baumwurzel strauchelte. Laut fluchend schlug er mit dem Gesicht voran ins Laub. Er strampelte mit den
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