Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
Beinen, bis das heimtückische Wurzelwerk ihn freigab. Doch nur, um ihn weiter den Hang hinabrollen zu lassen. Anno schlug mit den Armen um sich und suchte verzweifelt nach einem Halt. Ein Schlag wie ein Keulenhieb ließ ihn aufschreien. Endlich blieb er liegen. Er musste gegen einen der Bäume am Hang geprallt sein. Stechender Schmerz wütete in seinen linken Arm. Seine Rechte ertastete einen Baumstamm, an dem er sich langsam hochzog. Anno schlug die Augen auf. Keine zehn Schritt entfernt lag der dritte König inmitten von goldenem Vlies.
Schwankend schaffte es der Sennberger bis zu dem Heiligen. Der Kiefer des Königs war heruntergeklappt, so als habe der Sturz auch ihn überrascht. Auf der rechten Gesichtshälfte war die pergamentfarbene Haut aufgerissen. Das vertrocknete Fleisch darunter sah aus wie ein schmutziges, ausgefranstes Seil.
Der Sennberger beugte sich vor. Wenn man den Bart des Heiligen ein wenig zurechtzupfte und den Kiefer wieder in die alte Position schob, würde der Riss gar nicht auffallen. Nur die Zunge des Königs sah eigenartig aus. Ganz schwarz und wie aus Blei. Behutsam griff er in den offenen Mund und holte ein Stück dunkles Metall hervor. Verwundert betrachtete er seinen Fund. Es war ein aufgerolltes Metallblech, etwa so dick wie ein Finger, aber nur halb so lang. Winzige Schriftzeichen waren darauf eingraviert.
Anno dachte plötzlich an Zenon. Was hatte der Mönch ihm zugerufen? Dass sie den falschen König gefunden hatten.
»Was ist mit dem König?«, erklang eine aufgeregte Stimme über ihm.
Erschrocken blickte der Sennberger auf. Ludwig war über die Böschung gestiegen und arbeitete sich vorsichtig von Baum zu Baum den Hang hinab.
»Alles in Ordnung!«, rief Anno. Hastig schob er die Bleirolle in den Mund des Heiligen zurück. Die anderen sollten nichts bemerken.
Rainald beobachtete den Sennberger aus den Augenwinkeln. Er saß auf der anderen Seite des Feuers. Den ganzen Abend hatte der Kerl kein Wort gesprochen. Und es war nicht das erste Mal, dass er sich so verhielt.
Ludwig hatte berichtet, dass Anno wieder glaubte, den schwarzen Mönch gesehen zu haben. Seit dem Fieber, das ihn im Morgenland auf das Krankenlager geworfen hatte, ließ dieser Wahn ihn nicht mehr los. Welche Verrücktheit würde der Kerl wohl als Nächstes begehen? Vielleicht würde es ihm einfallen, über die Drei Könige zu plaudern! Rainald begann sich ernsthaft Sorgen zu machen. Für Cöln waren die Heiligen ein Geschenk des Kaisers und kein Diebesgut, das aus Mailand geschmuggelt worden war! Und das Geheimnis des dritten Königs durfte schon gar nicht bekannt werden!
Wenn Ludwig kein Trunkenbold und Weiberheld wäre, dann hätte man ihn am Leben lassen können. Bislang hatte er sich auf der Reise unauffällig verhalten. Aber wie lange würde es dauern, bis er im Rausch damit prahlte, die Könige aus Mailand geholt zu haben?
Nun, da sie sich sogar schon auf dem Gebiet seines Erzbistums befanden, wurde die Gefahr, dass sie in einen Hinterhalt gerieten, mit jeder Stunde geringer. Vielleicht sollte er morgen einen seiner Gefährten in das kleine Städtchen am Fuß der Burg Are schicken, um Neuigkeiten einzuholen. Seit mehr als einer Woche hatten sie schon nichts mehr über den Kriegszug des Kaiserbruders gehört. Angeblich stand er mit seinen Mannen bei Andernach, und der Domdechant Philipp von Heinsberg zog ihnen mit einem großen Cölner Aufgebot entgegen.
Hoffentlich schafften sie es mit den drei Königen bis Cöln, bevor es zur Schlacht kam, dachte Rainald. Es wäre ihm ein Vergnügen, seine Truppen höchstselbst anzuführen. Konrad hatte sich einem Befehl seines Kaisers widersetzt. Da war es auch keine Entschuldigung, dass er Friedrichs Bruder war. Der Geist der Rebellion musste ausgemerzt werden! Und wenn es nötig war, mit Feuer und Schwert!
Voller Verbitterung erinnerte sich der Erzbischof an die Ereignisse in Vienne. Die Geistlichkeit zur Ordnung zu rufen, das war seine nächste wichtige Aufgabe. Paschalis III. war ein Papst, der für die Reichspolitik kein Hindernis darstellte. Und sollten sich einige Erzbischöfe und andere Würdenträger einbilden, sie könnten sich Freiheiten herausnehmen, die selbst dem Ersten unter den Kirchenfürsten nicht gewährt wurden, dann hatten sie ihre Rechnung ohne ihn, den Erzkanzler, gemacht! Doch zunächst einmal sollte er hier unter seinem eigenen Gefolge für Ordnung sorgen.
Als Anno abgestiegen war, musste er sich einen Moment lang am Sattelknauf
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