Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
Streifen Seide, auf den einzelne Schneeflocken gestickt waren, und ein speckiges dunkles Lederstück, in das man ovale Augenlöcher und einen schmalen Schlitz für den Mund geschnitten hatte.
Vielleicht hatten die Heiligen Könige in der letzten Nacht doch ein Wunder gewirkt? Vielleicht war Heinrich wiedergeboren worden.
NACHWORT
Im Frühjahr 1162 musste sich nach langer, grausamer Belagerung die Stadt Mailand dem Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) ergeben. Zur Kriegsbeute gehörten die Gebeine der Heiligen Drei Könige. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass, obwohl Mailand 1162 erobert wird, der Erzbischof und Reichskanzler Rainald von Dassel die Gebeine der Könige erst 1164 als Geschenk erhält. Über den Verbleib der Reliquien in den beiden Jahren dazwischen berichtet keine Quelle. Dies bleibt jedoch keineswegs die einzige Lücke in der Geschichte der Drei Könige.
In Mailand wurden diese »kostbaren« Kirchenschätze nicht etwa im Dom verwahrt, wie man es eigentlich hätte erwarten sollen. Erst vor der Belagerung durch Friedrich wurden sie ins Innere der Stadt gebracht. Vorher wurden sie in der kleinen und ihrer Bedeutung keineswegs angemessenen Kirche San Eustorgio vor den Toren der Stadt verwahrt. Der Heiligenkult um die Drei Könige wurde von den Mailänder Erzbischöfen zwar geduldet, jedoch erstaunlicherweise nicht gefördert.
Unglaublich erscheint auch die Geschichte darüber, wie die Könige nach Mailand kamen. Angeblich wurden sie einem Kaufmann oder Bischof der Stadt (es gibt zwei verschiedene Legenden, die beide im Roman vorgestellt sind) nach einem Wunder geschenkt. Bis zu diesem Zeitpunkt befanden sie sich in Konstantinopel, wohin sie von Helena, der Mutter Kaiser Konstantins, nach einem Besuch in Palästina gebracht worden waren.
Tatsächlich machte Helena im Jahr 325 eine Reise nach
Palästina, über die ein Bericht des Bischofs Eusebius von Cäsarea existiert, der zu ihren Reisebegleitern gehörte. Helena fand während der Pilgerfahrt das Kreuz Christi, die heiligste aller Reliquien. Außerdem stiftete sie die Geburtskirche in Bethlehem. Von den Drei Königen jedoch ist im Bericht des Bischofs Eusebius nicht die Rede.
Hier stellt sich auch die Frage, warum die Könige ausgerechnet in Palästina hätten begraben werden sollen. Schließlich ist das Heilige Land laut Bibel lediglich ihr Reiseziel, jedoch nicht ihr Heimatland.
Untersucht man die »Bibelzitate« in Bezug auf die Heiligen Drei Könige genauer, kommt man zu weiteren verblüffenden Erkenntnissen. Sie werden lediglich beim Evangelisten Matthäus erwähnt. Matthäus spricht jedoch keineswegs von Königen, sondern von »Magiern« (was auch als »Weise« übersetzt werden kann). Eine Zahl der Magier nennt er nicht! Es wird lediglich erwähnt, dass sie drei Geschenke bringen: Weihrauch, Gold und Myrrhe.
Auf die Zahl drei beginnt sich die Kirche erst im dritten nachchristlichen Jahrhundert festzulegen. Die Drei hat einen vielfachen symbolischen Charakter und steht unter anderem für die drei Menschenrassen (Semiten, Jafetiden und Chamiten), die drei damals bekannten Erdteile (Europa, Asien und Afrika), die Dreifaltigkeit und die drei Lebensalter (Jüngling, Mann und Greis).
In diesem Lichte betrachtet, kann es nicht verwundern, dass auch eine ganze Reihe unterschiedlicher Namen für die Könige existieren. Die heute allgemein gebräuchlichen Kaspar, Melchior und Balthasar beginnen sich erst seit dem 9. Jahrhundert durchzusetzen.
Im Jahre 1864 wurde der Schrein der Heiligen Drei Könige
aus Anlass der Siebenhundertjahrfeier der translocatio, der Überführung der Heiligen, zum letzten Mal geöffnet. Laut Augenzeugenberichten befanden sich die balsamierten Gebeine eines circa zwölfjährigen Knaben, eines dreißigjährigen und eines circa fünfzigjährigen Mannes im Reliquiar (d.h. die Reliquien vertreten tatsächlich symbolisch die drei Menschenalter). Zur Achthundertjahrfeier 1964 wurde auf eine weitere Öffnung des Schreins verzichtet.
Für ein hohes Alter der Reliquien lassen sich folgende Beweise ins Feld führen. In ihrem Sarkophag wurde eine Münze aus der Regierungszeit des byzantinischen Kaisers Zenon I. (474-491) gefunden. Eine Untersuchung von Stofffragmenten, die angeblich aus dem Sarkophag stammen, ergab, dass das Gewebe zur Gruppe der seidenen Blöckchen-Damaste gehört, eines Stoffes, der seit dem 4. Jahrhundert nicht mehr gewebt wird. Des Weiteren fanden sich Spuren des extrem teuren Purpurfarbstoffes. In Purpur
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