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Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Titel: Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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die Heiligen nicht in dieser armseligen kleinen Kirche verstecken dürfen. Rother entschied sich für den Sennberger. Immerhin war er mit dem Segen des Fürsterzbischofs hierhergekommen! Knirschend fuhr der Meißel in die Fuge. Zu dritt stemmten sie sich gegen den schweren Sargdeckel. Ihr Keuchen und das leise Knirschen von Stein hallten in der kleinen Kirche wider. Heinrich hatte sich zurückgezogen. Breitbeinig stand er im Mittelgang, nicht weit vor dem halb geöffneten Portal. Hatte er sich entschlossen, ihnen den Weg nach draußen zu verwehren?
    »Endlich!«, keuchte Ludwig. Die Platte bewegte sich um einige Zoll. Ein Spalt aus Finsternis, kaum breiter als ein
Finger, öffnete sich. Rother kam es so vor, als läge plötzlich ein Duft von Rosenholz und Weihrauch in der Luft. Es hieß, dass die Leiber von Heiligen nicht verfaulten so wie gewöhnliche Menschen. Ihr Fleisch behielt eine rosige Farbe, und Wohlgeruch entströmte ihren Körpern.
    Anno hob die Laterne vom Boden auf, um in den Spalt zu leuchten.
    »Das Licht aus!« Mit langen Schritten eilte Heinrich den Mittelgang hinauf. »Hinter den Altar!«
    »Wir werden uns nicht länger …«
    »Schweig!« Heinrich deutete auf das Portal. »Es kommt jemand! Löscht das Licht!«
    Anno zerdrückte den Docht zwischen den Fingern. »In die Nische hinter den Sarg«, befahl er flüsternd. »Das Versteck ist sicherer!«
    Die plötzliche Finsternis vertiefte in Rother das Gefühl für die Heiligkeit dieses Ortes. Er schloss die Augen und konnte drei Gesichter sehen. Einen jungen Mann, einen reifen Krieger und einen ehrwürdigen Greis. Sein Herz schlug schneller. Die Drei Könige! Sie sahen ihn an und lächelten milde. Die Heiligen hatten ihn erwartet! Der Alte winkte ihm zu und wollte etwas sagen … Eine Hand packte Rother grob am Arm. Ludwig zerrte ihn hinter den Sarkophag. »Trödel nicht herum, du Mondkalb«, flüsterte er barsch.
    Leise Schritte erklangen vom Portal. Ein Schatten erschien in der Tür. Rother kniff die Augen zusammen und blinzelte in die Finsternis. Der Eindringling war nicht größer als er! Ein Kind hatte das Gotteshaus betreten!
    Einige Herzschläge lang verharrte die Gestalt im Eingang. Dann hob sie den Arm, gab ein Zeichen und trat in den
Mittelgang. Im Dunkel der Kirche verlor Rother sie aus den Augen. Er hörte leise, tastende Schritte. Es folgte ein Murmeln, wie ein Gebet. Weitere Schatten huschten durch die Tür. Sie waren noch kleiner als der erste.
     
    Der Falkner stieg neben den morschen Resten des umgestürzten Belagerungsturms aus dem Sattel. Er presste die Lippen fest zusammen und streckte vorsichtig die Hand nach dem dunklen Holz aus. Es war von Moos bewachsen. Kühl und pelzig schmiegte es sich an die schwieligen Finger.
    Der Mond stand hoch am Himmel. In seinem silbernen Licht sahen die schwarzen Ruinen Cremas malerisch aus. Doch der einsame Reiter hatte keinen Blick dafür. »Du bist nicht vergessen, Amizio«, flüsterte er mit erstickter Stimme. Seine Finger krallten sich in das feuchte Moos. Wieder sah er den kleinen Jungen mit den schwarzen Locken, wie er lachend die Gasse vor ihrem Haus hinauflief, oder wie er zum ersten Mal auf einem Pferd saß und ihn mit großen dunklen Augen ängstlich ansah. »Amizio …«
    Als er von dem zerstörten Belagerungsturm abließ, war ihm kalt, trotz der drückenden Wärme, die andere an friedlicheren Orten um den Schlaf bringen mochte. Unter seinen Füßen knirschten die zerbrochenen Steine der Stadtmauer, mit denen der Graben gefüllt worden war. Grillen zirpten in den sonnenverbrannten Grasbüscheln, die zwischen den Ruinen wuchsen. Es war schwer, in der zerstörten Stadt jene Gasse wiederzufinden, in der er einst gewohnt hatte. Verwirrt sah er sich um. Der Mond starrte durch Fenster, hinter denen schon lange kein warmes Kerzenlicht mehr erstrahlt war.
    Während Lupo durch die verlassenen Straßen irrte, verfolgten
ihn die Bilder der Vergangenheit. Das Heerlager unter den Mauern, wo auf Kreuzen aus schweren Balken die Gefangenen gefesselt waren. Der graue Nachmittag, an dem man den Turm vor die Mauern rollte. Den gnadenlosen Kaiser mit dem fein gestutzten roten Bart, den er einmal zwischen den Kriegern am Fuß der Mauern gesehen hatte. Die Gesichter der Männer, die die Gasse zu seinem Haus hinaufgestürmt waren, als die Mauer fiel; rußgeschwärzt, voller Angst und Mordlust. An sie konnte er sich besser erinnern als an das Gesicht des Erzbischofs Obert, den er erst vorgestern gesehen

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