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Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Titel: Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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herabrufen.

    Rainald wusste, dass er mit der Einmischung in die Papstwahl einen schweren Fehler begangen hatte. Es braute sich Unheil zusammen. Schon gab es Gerüchte, der Basileios Manuel, Kaiser von Byzanz, suche ein Bündnis mit den Engländern und Franzosen. Der Byzantiner betrachtete sich als den einzig wahren Kaiser, als Gesalbten des Herrn, als zweiten Christos.
    Nachdenklich strich der Erzbischof über den brüchigen Stoff. Es war das Vorrecht des Cölner Erzbischofs, die deutschen Könige im Dom zu Aachen zu krönen. Um wie viel bedeutender wäre die Zeremonie, wenn es ihm gelingen würde, die Drei Könige nach Cöln zu bringen! Eine höhere Legitimation konnte es nicht geben! Vielleicht würde man künftig sogar die Päpste zwingen können, nach Cöln zu reisen, um am Schrein der Drei Könige die Kaiserkrönung vorzunehmen? Welcher Ort, außer Jerusalem, wäre dann noch heiliger als Cöln?

6

    Ängstlich sah Rother sich um, ob ihm jemand folgte. Sechs Wochen hatte er gebraucht, um seinen Entschluss zu fassen. Wochen, in denen die Felder um Mailand so sehr verwüstet worden waren, dass das Heer des Kaisers dort nicht länger lagern konnte, denn es wuchs nicht einmal mehr Gras für die Pferde.
    Nächtelang hatte er wachgelegen und mit sich gerungen.
Doch heute würde er allen beweisen, dass er wahren Mut besaß. Er würde in die belagerte Stadt eindringen, die schon seit zwei Jahren kein Gefolgsmann des Kaisers mehr betreten hatte. Er würde ausspähen, wie stark ihre Truppen waren und wie schlimm der Hunger wütete. Und er würde nach den Königen suchen! Schon morgen Abend konnte er zurück im Lager bei Lodi sein und dem Fürsterzbischof verkünden, wo die Mailänder die Heiligen versteckt hielten. Dann wäre er wirklich ein Held, und alle Lügen der Vergangenheit wären ausgelöscht. In der Ferne waren die Mauern Mailands zu sehen. Rother verließ die Straße und lenkte sein Pferd in Richtung eines verfallenen Gehöfts, das zwischen den Feldern lag. Von dort ritt er querfeldein zum Friedhof, der die kleine Kirche von Sankt Eustorgio umgab. Zwischen den Gräbern suchte er nach einem Versteck für seine Stute. Wo gab es einen Ort, an dem sie genug zu grasen fand, bis er wiederkehrte? In einer unzugänglichen Ecke zwischen zwei steinernen Monumenten band er sie an den Ästen eines jungen Baumes fest. So konnte sie sich befreien, falls er nicht zurückkam. Aber das würde nicht geschehen! Zärtlich strich er dem Pferd noch einmal über den Hals, bevor er sich in Richtung Kirche davonschlich.
    Eine ganze Weile lag er auf der Lauer. Der Himmel war voller schwarzer Wolken, und dann und wann meinte er in der Ferne Stimmen zu hören, aber niemand näherte sich dem Friedhof. Als Rother schon glaubte, die Schmuggler würden in dieser Nacht nicht kommen, vernahm er doch eilige Schritte. Es waren die beiden Erwachsenen, die in jener Nacht, als sie das leere Grab der Könige gefunden hatten, mit dem Brot auf den Friedhof gekommen waren.
Kaum waren die beiden in die Schatten der großen Grabmale eingetaucht, sprang auch eine dritte Gestalt aus einer Gruft hervor. Der Anführer der Kinderbande! Und ihm folgte eine ganze Schar von Kindern.
    Rother kauerte sich tiefer in sein Versteck und beobachtete, wie sich die Szene wiederholte, deren Zeuge er schon einmal gewesen war. Zwei Esel wurden aus dem Gebüsch gezerrt, und dann wurde in Windeseile das Brot verteilt. Schon nach wenigen Augenblicken, waren die Kinder wieder verschwunden, als wären sie Geister gewesen, die ihren Gräbern für ein paar Atemzüge entstiegen waren. Die beiden Schmuggler wechselten noch ein paar knappe Worte mit dem Anführer der Kinderbande, bevor auch sie sich mit ihren Eseln in die düstere Nacht davonstahlen. Das Ganze ging so reibungslos vonstatten, als hätten sie es schon hundertmal erprobt.
    Der Anführer der Kinder schien indes keine Eile zu haben. Statt auch zu verschwinden, blickte er in Richtung von Rothers Versteck. Der Knappe drückte sich gegen das Mauerwerk und spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Der Kerl konnte nicht wissen, dass er hier lauerte! Niemand, der nicht mit dem Teufel im Bunde war, könnte ihn in diesem Versteck aus Mauerwerk und tiefsten Schatten entdecken. Und doch sah der fremde Junge sich um, als suche er nach Spuren.
    »Caspar, Melchior und Balthasar, beschützt mich in dieser Nacht!« Rother bekreuzigte sich. Dann lauschte er in die Nacht. Er hatte sich so tief geduckt, dass er den Jungen nicht mehr

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