Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
glücklich oder am Hof der Kaiserin sieht. Beides zugleich kann es so wenig geben wie Mondlicht an einem Nachmittag.«
Rother machte einen Schritt auf Clara zu, die den letzten Sattelriemen festgezogen hatte. »Ich kann nicht zulassen, dass Ihr mitten in der Nacht die Pfalz verlasst. Obendrein noch als Knabe verkleidet.«
Clara lachte auf. Das war nicht das Lachen eines harmlosen, netten Mädchens. »Zwergenritter, glaubt nicht, dass Ihr mich von meinem Vorhaben abbringen könnt!«
Den Spottnamen aus ihrem Munde zu hören verletzte Rother mehr, als es ein Messer hätte tun können. »Folgt mir aus freiem Willen, Herrin, oder ich muss Euch wie eine störrische Ziege in Eure Kammer schleifen.«
Clara lachte kurz auf, dann stemmte sie entschlossen die Hände in die Hüften »Kommt nur her, Baron. Legt Hand an mich, und ich werde jeden zu überzeugen wissen, dass Euch etwas anderes als die sichere Rückkehr in meine Kammer am Herzen lag.«
»Wie meint Ihr das, Herrin?«
»Ich werde mir die Kleider vom Leib zerren und schreien, dass es die letzte Küchenmagd aus ihren Träumen reißt. Was glaubt Ihr wohl, was man von Euch denken wird, wenn man mich so im Stall mit Euch findet?«
Unwillkürlich trat Rother einen Schritt zurück. Was war aus dem kleinen Mädchen geworden, mit dem er früher so oft gelacht hatte! Er durfte ihren Worten keinen Glauben schenken. »Warum sollte ich Euch Gewalt antun? Seit ich Baron bin, müsste ich Euren Vater doch nur um Eure Hand bitten. Dann würde ich Euch zur Frau bekommen!«
Plötzlich schaute ihn Clara eher mitleidig als zornig an. »Ahnt Ihr wirklich nicht, dass Ihr keine Freunde, sondern nur Neider bei Hofe habt? Jeder hier würde liebend gerne meinen Lügen glauben, um Euch fallen zu sehen. Euer Aufstieg vom Knappen zum Baron ist allen unheimlich. Ihr seit zu schnell zu weit gekommen.«
»Und Ihr … Wollt Ihr mich auch fallen sehen?« Clara schüttelte nach einer Weile den Kopf. »Nein, ich gehöre nicht zu Euren Feinden, im Gegenteil, aber ich muss Euch bitten, mich gehen zu lassen.«
Rother war überzeugt, dass sie ihre Drohungen wahrmachen würde. Aber er konnte sie nicht einfach ziehen lassen. Auch das mochte ihn Kopf und Kragen kosten. Eine Kammerzofe der Kaiserin, verschwunden, und er befehligte die Wache.«Dann werde ich Euch begleiten«, sagte er schließlich zerknirscht, denn ihm war klar, dass auch dies keine gute Lösung war.
Clara und er ritten auf abgelegenen Pfaden in Richtung Mailand. Es hatte zu regnen begonnen, der Wind frischte auf, und so kamen sie nur langsam voran. Anfangs hatte Clara noch versucht, ihn mit einer belanglosen Plauderei
versöhnlich zu stimmen und sich gleichsam für die schamlose Erpressung zu entschuldigen, mit der sie ihren Abzug erzwungen hatte. Aber Rother war nicht nach Reden zumute. Wieder hatte er alles zurückgelassen. Aber vielleicht lag eine höhere Bestimmung darin, dass er erneut nach Mailand und zu den Heiligen Drei Königen zog. Nicht nur, dass er Heinrich, Ludwig und Anno wiedersah. Damals, an jenem Sommermittag in der kühlen Gruft unter Sankt Giorgio al Palazzo, hatte er gespürt, dass die Heiligen auf ihn aufmerksam geworden waren. Sie wachten über ihn und warteten darauf, dass er zurückkehrte. Und er würde kommen!
Rother malte sich aus, wie er sie aus dem düsteren Gewölbe befreite. Es war kein Zufall, dass der Erzbischof vier Ritter für diese Mission ausgewählt hatte. Man brauchte vier Männer, um feierlich einen Sarg tragen zu können! Sie würden die schäbigen Holzsärge betend die enge Treppe hinaufbringen. Alle Glocken des eroberten Mailand würden für sie läuten. Und draußen vor der Kirche würden drei Kutschen stehen, drapiert mit den kostbarsten Stoffen, von edlen Rössern gezogen, und Bischöfe würden die Kutscher der Heiligen sein! Ja, die Drei Könige hatten ihn auserwählt, damit er sie aus der Mailänder Knechtschaft in die Freiheit führte! Wie hatten diese Lombarden es nur wagen können, die Zeugen der Geburt Christi in einer kleinen, unbedeutenden Kirche vor der Stadt aufzubahren?
»Habt Ihr das gehört?« Zum ersten Mal seit mehr als einer Stunde richtete Clara das Wort an ihn.
Rother zügelte das Pferd und drehte sich im Sattel um. »Was soll ich gehört haben?«
»Vor uns auf dem Weg sind Reiter. Glaube ich … Mir war, als hätte da ein Pferd gewiehert.«
Das war eigentlich unmöglich. Rother hatte einen Weg weitab der Straßen gewählt, um keiner Streife der Kaiserlichen zu
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