Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
begegnen, und von Mailand waren sie noch etliche Meilen entfernt. Doch da … Jetzt hörte auch er es. Ein dumpfes Geräusch. Kein Hufschlag.
»Steigt ab!« Ohne auf eine Antwort zu warten, ließ Rother sich aus dem Sattel gleiten und nahm die Zügel der Stute. Clara stellte keine Fragen. Sie verließen den Waldweg und suchten Deckung in einem dichten Gebüsch. Im Dickicht war es so finster, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Was immer dort den Pfad entlangkam, hinter den Zweigen verborgen würde man sie beide nicht bemerken, wenn die Pferde sich still verhielten.
»Wer mag das sein?«, fragte Clara. Ihre Stimme klang aufregt, aber nicht besorgt, als betrachte sie dies alles nur als ein großes Abenteuer.
»Jemand, der etwas zu verbergen hat, so wie wir«, entgegnete Rother knapp. Er schlang die Zügel um eine dicke Wurzel und pirschte zum Waldweg zurück, um sich hinter dem Stamm einer entwurzelten Kiefer zu verbergen. Kaum war er in Deckung gegangen, als Clara sich neben ihn kauerte. Einen Augenblick später erschienen drei Reiter auf dem Weg.
Auch wenn der Boden vom Regen aufgeweicht war, so hätte man sie eigentlich früher hören müssen! Die drei ritten im Schritt und sahen sich aufmerksam um, so als fürchteten sie einen Hinterhalt. Sie waren schlicht gekleidet. Vielleicht waren es ja gewöhnliche Diebe.
Ein Stück weiter den Weg hinauf brach ein breiter Streifen Mondlicht wie eine silberne Säule durch die Bäume. Als die Reiter die Stelle passierten, konnte Rother erkennen,
warum er sie nicht eher gehört hatte. Die Hufe der Pferde waren mit Lumpen umwickelt!
In der Ferne erklang ein dumpfes Geräusch, wie leiser Donner. Rother spürte den Boden erzittern.
»Was ist das?«, flüstere Clara neben ihm.
Rother konnte nur mit den Schultern zucken. Einer der drei Reiter wendete plötzlich sein Pferd und kam langsam auf dem Weg zurück. Seine Kameraden warteten. Rother hatte das Gefühl, sein Herz schlüge so laut wie eine Trommel. Jeden Augenblick würde der Reiter sie entdecken! Vorsichtig tastete Rother nach seinem Schwert.
Der Reiter verharrte. Indessen wurde das merkwürdige Geräusch immer lauter und vertrauter. Reiter! Es musste ein riesiger Reitertrupp sein, der sich da auf dem Waldweg näherte. Die drei waren offenbar als Späher vorausgeschickt worden.
»Was sollen wir tun?« Clara rückte ein wenig näher an Rother heran.
»Das sind keine Kaiserlichen«, flüsterte er. »Die würden die breiten Straßen nehmen. Dort kommt man viel schneller voran.«
Sie mussten nicht lange warten, bis die Spitze der Reiterkolonne ihr Versteck erreicht hatte. Der Waldweg war zu schmal, als dass mehr als zwei Mann nebeneinander reiten konnten. Im sanften Mondlicht konnte man die Kettenhemden der Reiter aufschimmern sehen. Jeder Dritte war auf diese Weise gewappnet. Die anderen trugen nur Waffenröcke.
Die Kolonne der Reiter schien kein Ende zu nehmen. Bei vierhundert war Rother mit dem Zählen durcheinandergekommen. Als die Kolonne endlich vorüber war, wartete
er noch eine Weile, bis er sich hinter der gestürzten Kiefer hervorwagte.
»Hölle, das waren viele«, flüsterte er und strich über seinen Schwertgriff.
»Mit den Spähern waren es genau fünfhundertsiebenundzwanzig«, entgegnete Clara ruhig. »Wir müssen ihnen nach.«
Rother knetete die Augenbrauen mit Daumen und Zeigefinger, so wie er es beim Erzbischof gesehen hatte, wenn der Kirchenfürst über seinen Sorgen brütete. »Wohin können sie wollen?«
»Sie werden versuchen, den Kaiser zu ermorden, so wie damals beim Kloster von Bagnole.«
Rother schüttelte den Kopf. »Das ist die falsche Richtung. Anfangs habe ich gedacht, dass sie vielleicht fortlaufen, sich einfach davonstehlen, bevor Mailand sich ergibt. Aber dann wären sie nicht zum Kampf gewappnet. Den Kaiser wollen sie gewiss auch nicht angreifen. Die Heerlager haben sie schon längst hinter sich gelassen. Sie müssen etwas anderes …« Die Erkenntnis traf Rother wie ein Faustschlag. »Sie wollen nach Lodi.«
»Aber in Lodi sind doch nur Frauen und Mönche!«
Rother lief zu den Pferden zurück. »Sie wollen Lodi nicht erobern. Sie wollen die Kaiserin! Clara, wisst Ihr, wie Ihr zum Feldlager des Kaisers kommt?«
Sie zögerte und schüttelte dann den Kopf. »Nicht von hier. Ich weiß nicht einmal, wo wir im Augenblick sind.«
»Ich bringe Euch zur nächsten Straße.« Rother löste die Zügel seiner Stute. »Von dort ist der Weg leicht zu finden. Ich muss zurück zur
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