Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
seinen Bierhumpen gestern Nacht gehoben hatte, dachte der Spielmann grimmig.
Hartmann blickte über die verschneite Landschaft. Zu ihrer Rechten lag ein ausgedehntes Waldstück. Die Stämme zeichneten sich schwarz vor dem Schnee ab. Ob er dem alten Rappen Ingerimms einfach davonpreschen konnte? Aber der Schnee war trügerisch. Sollte Esseilte in ein verborgenes Hasenloch treten, mochte ihn das sein Leben kosten. Nein, er würde sich des Alten auf andere Weise entledigen! Er brauchte nur ein wenig Geduld! Dass diesem Dummkopf nicht aufgefallen war, dass er sein Schwert an der rechten Seite trug, dachte Hartmann verwundert. Ein Krieger war Ingerimm gewiss nicht, sonst wäre ihm diese bedeutende Kleinigkeit nicht entgangen.
Der Ritter dachte an den lahmen Roland und dankte Gott dafür, dass der fahrende Sänger ihm ein so gestrenger Lehrer gewesen war. Roland hatte immer darauf bestanden, dass er mit der Rechten die Laute schlug, weil er nicht in der Lage
gewesen war, ihm die Griffe am Instrument zu zeigen, wenn sein Schüler es anders hielt, als er selbst es tat.
»Bist du immer noch neugierig, was aus Rother geworden ist?« Der Alte hatte sein Pferd neben Hartmann getrieben.
Der Spielmann entschied sich, nicht zu antworten. Ihm stand nicht danach, mit diesem selbstgefälligen Bastard zu plaudern.
»Hast wohl deine Zunge verschluckt!«
Hartmann schaute den Maskierten an. »Ich fragte mich, ob Eure Seele wohl so verrottet sein mag wie Euer Äußeres, das Ihr vor der Welt zu verstecken trachtet. Gewiss wart Ihr einst ein Mann mit bemerkenswerten Gaben, doch was ist davon geblieben?«
»Ich bin, wozu das Leben mich gemacht hat«, entgegnete der Alte mit eigentümlich leiser Stimme. »Es war nicht so gnädig zu mir wie zu Rother. Ein bleierner Fluch lastet auf mir.« Er legte den Kopf schief und sah Hartmann auf eine Art an, die den jungen Ritter erschaudern ließ. »Willst du wissen, was aus Rother geworden ist? Ein verstümmelter Irrer, dem Tode geweiht! Und er war nicht der Einzige, den der Erzbischof und die Drei Könige ins Unglück gestürzt haben. Ich werde dir erzählen, was weiter geschehen ist. Vielleicht begreifst du dann, wie sehr du Gott verhöhnst, wenn du nach Cöln reitest, um vor drei Toten zu beten!«
Soll der Alte nur reden, dachte Hartmann. Wenn Ingerimm abgelenkt war, wurde der Abstand zwischen ihnen vielleicht so klein, dass ihm seine Lanze zum Angriff nicht mehr von Nutzen war.
HEINRICH
»Im April des Jahres 1162 standen der Kaiser und sein Erzkanzler auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Es war ein verregneter Monat, in dem der Herrscher und sein Gefolge lange Meilen über die Straßen der Lombardei zu reiten hatten. Eine nach der anderen unterwarfen sich die rebellischen Städte, schenkten unserem Kaiser ganze Wagenladungen von Silber und entboten sich sogar, ihre Stadtmauern niederzureißen. Doch sosehr der Herrscher in seinem Triumph frohlockte, so grimmig war sein Erzkanzler. Er sprach kaum und schien stets ganz in düstere Gedanken versunken. Mailand war zwar besiegt, doch seine kühnen Pläne für das Reich und das Kaisertum waren an einem einzigen Nachmittag zwei Wochen nach dem Fall der Stadt zunichte geworden. Sein Unglück begann damit, dass er einen Mönch, der in der Kunst des Schneiderhandwerks bewandert war, damit beauftragte, neue Gewänder für die Heiligen Drei Könige zu fertigen. Sie sollten prächtig anzuschauen sein, wenn er sie im Sommer nach Cöln bringen würde …«
13
Erzbischof Rainald war verärgert, als Johannes, ein Mönch aus seinem Gefolge, ihn in seinem Gemach in der Kaiserpfalz Lodi störte. Der junge Geistliche war von kleiner, schmaler Statur, so dass er in seiner braunen Ordenskutte fast verschwand. Er hatte ein schlankes, spitzes Gesicht und Augen, die ständig in Bewegung waren. Johannes war nicht für sein lebhaftes Wesen bekannt, doch als er vor dem Erzbischof erschien, wirkte er so verwirrt, als wäre ihm der Leibhaftige selbst begegnet.
Rainald hatte an seinem Schreibpult die endlosen Beutelisten durchgesehen, die in den letzten Tagen von den kaiserlichen Ministerialen erstellt worden waren. Dem Kanzler war die undankbare Aufgabe zugefallen, darauf zu achten, dass Friedrich nicht innerhalb weniger Wochen die ganze Kriegsbeute verschenkte. So maßlos der Kaiser in seinem Zorn war, so maßlos konnte er auch in seiner Großherzigkeit sein. Jeder Ritter, der zu seinem Lehen zurückkehrte, erhielt ein Geschenk als Lohn für die treuen Dienste in diesem
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