Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
Steuermann, lachte hinter ihnen. »Warte, bis du die Sophienkirche siehst und die Rennbahn. Es sind die größten Bauwerke, die jemals von Menschenhand geschaffen wurden. Der Leuchtturm dort vorne ist nichts als ein hoher Turm, auf dessen Spitze tagsüber ein Spiegel steht. Aber die Kirche … Dort siehst du Gottes Werk auf Erden.«
Der venezianische Kauffahrer passierte die beiden gedrungenen Türme der Hafeneinfahrt. In dem weiten Becken ragte ein Wald von Masten auf. Schiffe aus aller Herren Länder schienen hier versammelt zu sein. Bauchige Lastensegler, lang gestreckte Galeeren und schlanke Schiffe mit seltsamen, dreieckigen Segeln.
Noch zweihundert Schritt und er würde endlich wieder festen Boden unter den Füßen haben, dachte er erleichtert. Endlich hatte das Martyrium ein Ende! Ihre Reise hatte sie von Venedig an die dalmatinische Küste nach Zara geführt. Dort mussten sie zwei Wochen warten, bis sie sich auf einem großen Kauffahrer nach Konstantinopel einschiffen konnten. In der Straße von Otranto waren sie in einen schweren Sturm geraten und fast an der Küste Korfus zerschellt. Nie in seinem Leben hatte Ludwig so viel gebetet wie in diesen Stunden. Gott schien ihn, oder eine frommere Seele an Bord, erhört zu haben. Auf dem letzten Stück der Reise hatten sie sonniges Wetter und einen stetigen Wind gehabt.
Wenn auch nur die Hälfte von dem stimmte, was die Seeleute über die Schenken und Huren von Konstantinopel zu erzählen wussten, dann musste die Stadt der Himmel auf Erden sein. Und das war gut so! Er würde eine Menge Wein brauchen, um diese Seefahrt zu vergessen!
»Ihr solltet eure Börsen bereithalten.« Orlando, ihr Steuermann wies auf ein schlankes Ruderboot, das auf den Kauffahrer zuhielt. Dessen Reling war mit goldenen Schnitzereien geschmückt, die Riemen schimmerten in grellem Rot. Die Ruderer schwitzten mit nacktem Oberkörper. In der Mitte des Bootes stand ein dicker Kerl mit einem goldbestickten Umhang. Hinter ihm hatte sich eine Gruppe finster dreinblickender Krieger mit langstieligen Äxten aufgebaut.
»Ein Beamter des Hafenmeisters«, erklärte Orlando. »Er wird unsere Ware begutachten und dann entscheiden, welchen Liegeplatz wir zugewiesen bekommen. Er wird auch Auskünfte über euch einholen. Lateiner sind hier nicht wohlgelitten.«
»Aber wir sind doch deutsche Pilger.«
Der Seemann zog warnend die Brauen hoch. »Für die Griechen sind alle, die der römischen Kirche folgen, Lateiner. Sie trauen uns nicht. Es ist besser, wenn ihr erzählt, dass ihr vorhabt, die Stadt schnell wieder zu verlassen.«
Heinrich und Anno tauschten einen Blick. »Ich werde mit ihm sprechen«, entschied der Sennberger. »Und du solltest besser den Mund halten, Ludwig. Das meiste, was ich über diese Stadt gehört habe, hat mir nicht gefallen.«
Heinrich hatte sich vor einer der Säulen des hoch aufragenden Kuppelbaus am südlichen Ende des Augusteions niedergelassen.
Es war der vierte Abend, den er hier saß und wartete. Mit jedem Tag waren seine Hoffnungen gesunken. Der Erzbischof hatte einen verhängnisvollen Fehler gemacht! Er hatte Heinrich gesagt, er solle vor dem Milion warten. Und als Erkennungszeichen sollte er einen blauen Umhang tragen. Offenbar war der Erzbischof niemals in Konstantinopel gewesen! Und er schien auch nicht sehr viel über die Stadt zu wissen. In drei Wochen würde es ein großes Rennen im Hippodrom geben, und schon jetzt brodelte die Stadt vor Unruhe. Immer wieder kam es zu Streitereien zwischen den Blauen und den Grünen, den beiden größten Parteien unter den Rennställen. Tausende von Männern in blauen Tuniken und mit blauen Umhängen waren in der Stadt unterwegs!
Heinrich war froh, bislang nicht in eine der Auseinandersetzungen verwickelt worden zu sein. Doch Gott allein wusste, wie lange sein Glück noch anhalten würde. Ganz zu schweigen vom Glück seiner Kameraden. Es war leicht, als Lateiner Ärger zu bekommen. Ludwig amüsierte sich und schien fast schon vergessen zu haben, warum sie nach Konstantinopel gekommen waren. Noch mehr Kummer bereitete Heinrich der dickköpfige Sennberger. Der störrische Kerl machte keinen Hehl aus seiner Verachtung für die Griechen. Er schien geradezu auf Streit aus zu sein. An allem, was er sah, mäkelte er herum. Manchmal fragte sich Heinrich, ob nicht schlicht Angst hinter seinem ebenso hochmütigen wie dummen Verhalten steckte.
Wie sollten sie sich in dieser gewaltigen Metropole zurechtfinden? Bis vor einer Woche war
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