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Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Titel: Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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Fuß der Taube. Neugierig holte er den Zettel daraus hervor und runzelte verwundert die Stirn. Er konnte nicht wirklich lesen, aber es bereitete ihm Vergnügen, seinen Teil der Beute zu begutachten. Das feine Pergament zwischen den Fingern zu fühlen und darüber nachzudenken, welche Nachricht er wohl in Händen halten mochte. Er konnte zwar nicht lesen, doch eines fiel ihm auf: Diesmal sahen die Buchstaben auf dem Papier völlig anders aus als sonst.

     
    Heinrich stand auf dem Wall nahe dem Tor der Pfalz und blickte über die weiten Wiesen entlang des Flusses. Einzelne Bäume ragten blaugrau in die Abenddämmerung und verschwammen in der Ferne mit den Konturen des Himmels. Es war der letzte Abend, den er für lange Zeit in der Pfalz verbringen würde. Er spürte Unruhe, Spannung und einen süßen Schmerz. Rother war seit zwei Wochen beerdigt, und doch dachte Heinrich beinahe in jeder Stunde an ihn. Er hatte ihm geschworen, den dritten König zu finden, und nun hatte der Erzbischof ihn ausgewählt, zusammen mit Anno und Ludwig nach Konstantinopel zu reisen. Offenbar vertraute der Erzbischof ihm immer noch.
    Heinrich vernahm leise Schritte auf der steinernen Treppe, die zur Mauer hinaufführte. Eine Frau, das Gesicht unter einem Kopftuch verborgen, eilte hinauf. Sie schien nicht verwundert, ihn hier anzutreffen, und kam geradewegs auf ihn zu. Als sie zwei Schritte vor ihm stand, hob sie das Haupt, so dass er ihr Antlitz erkennen konnte. Es war Clara! Seit Wochen war er ihr nicht mehr begegnet. Wie die anderen Hofdamen trug sie einen bliaut, ein knöchellanges Kleid mit weit geschnittenen Ärmeln und schönem Faltenwurf. Heinrich verneigte sich. »Herrin?«
    »Mein Vater sagt, dass Ihr morgen bei Sonnenaufgang aufbrechen werdet.«
    Der Ritter nickte. »Wir sind auf einer Suche, doch kennen wir unser Ziel nicht.« Der Erzbischof hatte sie schwören lassen, niemandem vom Grund der Reise zu erzählen.
    »Denkt Ihr noch manchmal an den Abend am Fluss, als Ihr mich in den Arm genommen habt?«
    Heinrich musterte Clara. Sie war zu einer Frau herangereift. Das Kleid lag eng an ihrem Körper an. Ein bestickter
Gürtel betonte ihre Hüften. Ihr Haar war hochgesteckt und glänzte matt. Sie duftete nach Rosenöl. Wenig erinnerte noch an das sommersprossige Mädchen, mit dem er vor einem Jahr über die Alpen gekommen war. »Der Abend am Fluss …« Er räusperte sich verlegen. »Ich erinnere mich. Ich habe Euch zu Eurem Vater gebracht, nicht wahr, Herrin?«
    »Ist das alles, was Euch von diesem Abend im Gedächtnis geblieben ist?« Ihre Stimme zitterte ein wenig. Von ihrem Antlitz jedoch konnte man nicht ablesen, ob seine Antwort sie getroffen hatte. Die langen Monate unter den Hofdamen der Kaiserin hatten sie gelehrt, ihre wahren Gefühle verbergen zu können.
    »Ist noch etwas anderes geschehen?« Diese Lüge würde ihn noch lange Nächte plagen. Zu gut wusste er, warum er damals noch lange am Ufer der Adda geblieben war.
    Sie seufzte leise. »In der Nacht, in der Lodi überfallen wurde, wollte ich eigentlich fliehen. Ich weiß nicht, ob Rother Euch jemals davon erzählt hat. Ich wollte zu ihm kommen, als er krank war. Ich …« Sie rang die Hände. »Man hat mir nicht erlaubt, ihn noch einmal zu besuchen, als er im Sterben lag. Es ist nie viel darüber gesprochen worden, aber mein Vater glaubt, ich hätte mit Rother fliehen wollen. Dabei war es in Wahrheit ganz anders. Wir sind im Wald auf die Mailänder gestoßen, als wir auf dem Weg zum Lager des Erzbischofs waren. Ich wollte zu Euch, Heinrich. Ich weiß mir nicht zu helfen … Ist es ein Fluch? Haben wir denn wie Tristan und Isolde unwissentlich von einem Liebestrank getrunken?«
    Heinrich brachte kein Wort hervor. Er vermochte nicht einmal Claras traurigem Blick zu begegnen.

    »Ich weiß von einer Magd meines Vaters, dass sie Euch Kreuze auf den Mantel und die Kleider nähen musste. Ihr werdet also als Pilger gen Osten ziehen …«
    Heinrich nickte. »Wir werden morgen …«
    Clara unterbrach ihn mit einer Geste. »Zwischen uns steht bis heute keine Lüge, und so soll es auch bleiben. Versucht nicht, mir auszureden, was ich weiß! Mein Vater ist nicht der Mann, der sein Leben wagt, um auf Pilgerfahrt nach Jerusalem zu ziehen. Er wünscht sich nichts sehnlicher, als auf unser Rittergut zurückzukehren. Wenn er morgen nach Osten reitet, mag er vielleicht das Gewand eines Pilgers tragen, doch es wird etwas anderes als Frömmigkeit sein, das ihn dorthin zieht. Und Ihr werdet

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