Königin der Engel
nicht älter als zehn Jahre. Sie fuhr sie in gemessenem Tempo durch die Straßen zu den Quartiers Diplomatiques. Soulavier war ziemlich still geworden. Sie kamen an eine. Siedlung, die von einer Ziegelmauer umschlossen war, und fuhren durch ein Tor, das von Soldaten in schwarzen Uniformen und verchromten Helmen bewacht wurde. Die Soldaten musterten sie mit schmaläugiger, mißtrauischer Würde. Der Wagen hielt nicht an.
Innerhalb der Mauer lag ein nettes Wohnviertel aus schlichten, einheitlich gefärbten Bungalows mit vorspringenden Veranden und Spalieren, die von immerblühenden Bougainvilleen bedeckt waren. Der Wagen blieb vor einem dieser Bungalows stehen und ließ die Tür aufschwingen. Soulavier beugte sich vor; er schaute auf einmal verwirrt drein. »Inspector Choy, ich arrangiere für Sie ein Treffen mit Colonel Sir persönlich. Morgen, vielleicht später am Tag. Sie fangen morgens mit unserer Polizei an, aber Sie werden mit Colonel Sir zu Mittag oder zu Abend essen.«
Das Angebot überraschte Mary. Aber andererseits hatte Colonel Sir ihre Einreise ja schließlich gebilligt und würde natürlich neugierig sein, was das Schicksal seines Freundes betraf… Oder er würde einen solchen Eindruck erwecken wollen.
»Es wäre mir eine Ehre.« Sie stieg aus der Limousine und sah einen Mann und eine Frau in dunkelgrauer Livree, die am Fuß der Treppe zum Bungalow standen. Sie lächelten herzlich. Soulavier stellte sie vor: Jean-Claude und Roselle.
»Ich weiß, daß Amerikaner nicht an Diener gewöhnt sind«, sagte er, »aber alle Diplomaten und Beamten von außerhalb haben welche.« Jean-Claude und Roselle verbeugten sich.
»Wir werden gut bezahlt, Mademoiselle«, sagte Roselle. »Es braucht Ihnen nicht peinlich zu sein.«
»Bis morgen«, sagte Soulavier. Er kehrte zur Limousine zurück.
»Ihr Gepäck ist schon drin«, erklärte ihr Jean-Claude. »Es gibt eine Dusche und eine schöne Badewanne, und wir haben reinen Apfelessig im Haus, falls Sie ihn zu benutzen wünschen.« Mary sah den Mann einen Moment lang verdutzt an, erstaunt über seine eingehende Kenntnis ihrer Bedürfnisse.
»Ihr Design ist sehr schön, Inspector Choy«, sagte Roselle.
»Danke.«
»Was uns besonders gefällt, ist Ihre Hautfarbe«, fügte Jean-Claude hinzu. Seine Augen blitzten übermütig.
Das Innere des Bungalows war mit Möbeln aus massivem Mahagoni eingerichtet, die offenbar handgearbeitet waren; die Fugen waren nicht perfekt, aber die Schnitzereien und die Handpolitur waren großartig. »Verzeihen Sie«, sagte Mary, »aber woher wissen Sie das mit dem Essig?«
»Ich habe einen Schwager in Kuba«, antwortete Jean-Claude. »Er macht Transformationschirurgie für Touristen aus China und Rußland. Er hat oft von Ihrem Hauttyp gesprochen.«
»Oh«, sagte Mary. »Danke.«
Roselle führte sie zum Schlafzimmer. Ein Himmelbett mit Moskitonetz und einer wunderschönen bunten Quiltdecke mit aufgestickten Tieren und Tänzern wartete an einer Wand. Die Quiltdecke und die Bettdecken waren heruntergezogen. »Das Netz werden Sie nicht brauchen. Wir haben nur freundliche Moskitos in Port-au-Prince. Aber es ist urig, nicht?« meinte Roselle.
Ihre Kleider waren in einen wohlriechenden Teakschrank gehängt worden. Bei dem Gedanken, daß ihr Gepäck unerlaubt durchsucht worden war, stellte sie innerlich die Stacheln auf, aber sie lächelte Roselle an. »Ganz reizend«, sagte sie.
»Ihr Dinner steht im Eßzimmer bereit. Wir tragen Ihnen auf, wenn Sie es wünschen, aber falls Sie persönlichen Service unangenehm finden, können wir es Ihnen das Essen von Robotern bringen lassen«, erklärte Jean-Claude. »Doch wenn Sie Roboter benutzen, bekommen wir nicht so viel bezahlt.« Er zwinkerte fast. »Bitte entspannen Sie sich, und haben Sie keine Hemmungen. Das ist unser Job, und wir sind Profis.«
Wie oft mochten sie das wohl schon zu Diplomaten oder Firmenfunktionären gesagt haben? Die Attraktionen Hispaniolas lagen klar auf der Hand. Diese Leute wirkten mehr als aufrichtig; sie schienen wirklich freundlich zu sein, so wie Soulavier freundlich gewesen war. Vielleicht hatten sie ihre Kleider nur deshalb aufgehängt.
»Wird Mademoiselle vor dem Essen noch etwas brauchen?«
Mary verneinte. »Ich mache mich erstmal frisch, und dann möchte ich essen.«
»Hätte Mademoiselle vielleicht gern Gesellschaft?« erkundigte sich Roselle. »Einen Studenten, einen Bauern, einen Fischer? Freundlich und garantiert sehr diskret.«
»Nein. Vielen Dank.«
»Wir
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