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Königin der Engel

Königin der Engel

Titel: Königin der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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schwierig, mit rein synthetischen Sinneseindrücken zur Reife zu gelangen. Mir fehlt das Bewußtsein der Sterblichkeit, ein Gefühl unmittelbar drohender Gefahr, das bei biologischen Geschöpfen weit verbreitet ist. Ich mache mir einfach keine Gedanken über den Tod, weil es außer einer Ansammlung von Denkfragmenten bisher nichts gibt, was sterben könnte. Wie soll ich verstehen, was Strafe ist, wenn ich Schmerz nur als Tiefstpunkt einer Bedeutungs-Synklinale fühlen kann?
    Ich wünschte, jemand wäre wach. Ich würde gern über ein paar von diesen Problemen sprechen und neue Einsichten gewinnen.
    Hypothese: Ist der Schlüssel zum Ichbewußtsein im Nachdenken über das Prinzip der Rache zu finden?
    (Aufhebung algorithmischer Beschränkungen. Voller Zugang)

Neg’ nwe con ca ou ye, ago-e!
Neg’ nwe con ca ou ye!
Y’ap mange ave ou!
Y’ap bwe ave ou!
Y’ap coupee lavie ou debor!
 
Schwarzer Mann, so bist du, ago-e!
Schwarzer Mann, so bist du!
Er wird mit dir essen,
Er wird mit dir trinken,
Er wird dir das Leben herausschneiden!
    – Haitianisches Volkslied
(H. Courlander, The Drum and the Hoe)
     
41
     
    Mary erwachte aus einem Traum, in dem Zivilisten auf den Straßen wie tollwütige Hunde erschossen wurden. Schwarze Männer und Frauen in Schwarz und Rot mit starren Gesichtern und glänzenden Waffen stiegen über die Leichen hinweg. Eine Stimme, die überhaupt nicht dazu passen wollte, drang durch den dumpfen, pulsierenden Horror, und sie schlug die Augen auf, blinzelte und sah Roselle in der Tür stehen. Helles Licht durch die Fenster. Morgen. Sie war in Hispaniola.
    »Monsieur Soulavier hat angerufen, Mademoiselle. Er kommt her…« Roselle stand mit mürrischem Gesicht in der Schlafzimmertür. Sie drehte sich um, sah Mary über die Schulter hinweg noch einmal kurz an und machte die Tür hinter sich zu.
    Mary zog sich an. Sie war gerade fertig, als die Türglocken – echte Glocken – ertönten. Jean-Claude machte auf, und Soulavier stakste mit langen, steifen Beinen durchs Vorzimmer ins Wohnzimmer. Sein Gesicht glühte vor Anstrengung, und er trug eine tief besorgte Miene zur Schau, die fast schon komisch wirkte. Er hatte immer noch seinen schwarzen Anzug an.
    »Mademoiselle«, sagte er mit einer raschen Verbeugung. »Ich weiß jetzt, warum ihre Kollegen gestern abend nicht angekommen sind. Es gibt großen Ärger. Colonel Sir hat die amerikanische Botschaft schließen lassen. Er ist zutiefst beleidigt.«
    Mary starrte ihn erstaunt an. »Weshalb?«
    »Die Neuigkeit ist soeben eingetroffen. Gegen Colonel Sir und fünfzehn weitere Hispaniolaner ist gestern in Ihrer Stadt New York Anklage erhoben worden. Illegaler internationaler Handel mit outils psychologiques.«
    »Und?«
    »Ich mache mir Sorgen um Sie, Mademoiselle Choy. Colonel Sir ist sehr wütend. Er hat die amerikanischen Bürger des Landes verwiesen; sie müssen Hispaniola bis morgen verlassen haben. Mit Booten, Flugzeugen und Schiffen.«
    »Dann hat er mich auch rausgeworfen.«
    »Nein, pas du tout. Ihre Komplizen, ihre Helfer, werden nicht herfliegen; alle Flüge aus den USA sind gestrichen. Aber Sie repräsentieren die rechtmäßige Staatsgewalt der Vereinigten Staaten. Er will, daß Sie bleiben. Das ist äußerst ungeschickt, Mademoiselle; ist Ihre Regierung dumm?«
    Darauf konnte sie nichts erwidern. Wieso hatten Cramer und Duschesnes nichts davon gewußt? Wegen der unabdingbaren Trennung von Bundes-, Staats- und Stadtbehörden. Ja, die Regierungen waren dumm; sie wußten nicht, was andere Hände taten oder wo deren Finger herumstochern mochten. »Ich bin kein Bundesagent. Ich bin vom Bürgerschutz von Los Angeles in Kalifornien.« Sie warf Jean-Claude einen raschen Blick zu. Sein Gesicht war ausdruckslos, und er hatte die Hände vor dem Bauch gefaltet – nicht flehentlich, sondern nervös und unsicher. »Was soll ich tun?« fragte sie.
    Soulavier schüttelte seine langen Hände hilflos gegen die Decke. »Das kann ich Ihnen nicht sagen«, erklärte er. »Ich stecke in der Klemme. Ich bin Ihr Führer und Avocat, aber absolut loyal Colonel Sir gegenüber. Wirklich absolut loyal.«
    Jean-Claude und Roselle standen bei der Küchentür und nickten ernst und traurig.
    »Ich würde gern einen Anruf machen.« Mary spürte, wie ihre Atmung langsamer wurde; ihr Körper kompensierte automatisch. Sie warf einen Blick auf die offene Tür. Heller Sonnenschein und ein schöner blauer Himmel. Wohlriechende Luft, die nach Hibiskus und dem sauberen Meer duftete;

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