Koenigin der Meere - Roman
Geheimnisse der Literatur einzuweihen, hätte es kaum eine Abwechslung in ihrem Alltag gegeben. Zum anderen aber, und darauf lag ihr Hauptaugenmerk, hatte sich ihre Tochter zu einem schwer zähmbaren Wildfang entwickelt. Anne war nach wie vor eine sehr gute Schülerin, lernte mit Eifer und Freude, sprach die ersten Sätze Französisch und löste ihre Rechenaufgaben mit sogar für ihren Lehrer überraschender Geschwindigkeit. Einzig ihr Freiheitsdrang machte der Mutter Sorgen. Anne war nicht zu bändigen. Nach dem Unterricht nutzte sie jede Gelegenheit, um aus dem Gartentor zu schlüpfen und die Umgebung auf eigene Faust zu erkunden. So sehr Margaret und Phibbah sich auch bemühten, sie davon abzuhalten, Anne fand immer wieder einen unbewachten Augenblick und entwischte. Ihre Mutter war jedes Mal krank vor Sorge und schickte Phibbah, Anne zu suchen.
»Miss Anne, du machst deiner Mutter großen Kummer. Du darfst nicht weglaufen. Charleston ist zu gefährlich für dich. Wenn du spazieren
gehen möchtest, musst du die Mummy fragen, dann geht sie mit dir. Aber doch nicht alleine!« Anne protestierte.
»Ich will nicht mit Mummy unter dem Sonnenschirm langweilig spazieren gehen, ich will Sachen sehen und Leute.« Unwillig folgte sie der Sklavin nach Hause.
»Für Anne wäre es sicher besser, wenn wir Frühling und Sommer auf dem Land verbringen könnten«, sinnierte Margaret. »Dort wäre sie freier, hätte mehr Möglichkeiten, draußen zu sein, und ich würde nicht immer vor Angst vergehen, wenn sie wieder auf eine ihrer Erkundungstouren geht.« Cormac, der vergeblich mit guten Worten, Predigten und dem einen oder anderen väterlichen Donnerwetter versucht hatte, seine Tochter zur Räson zu bringen, räusperte sich.
»Ich kann dir natürlich nicht sagen, wann das möglich sein wird. Den notwendigen Betrag habe ich schon zusammen, aber ein geeignetes Objekt ist schwer zu finden. Ich träume von einer gut geführten Plantage. Aber das kann dauern. Nächste Woche ist eine Auktion am Hafen. Ich werde einen Sklaven kaufen und ihn Anne schenken, der soll auf sie aufpassen und Kleinigkeiten rund um das Haus erledigen.« Nachdem Phibbah ihr uneingeschränktes Vertrauen genoss und ihren Pflichten beispielhaft nachkam, war Margaret einverstanden, einen weiteren Sklaven in ihrem Haushalt aufzunehmen.
Anne hatte zur Feier des Tages ein zartrosa, mit Spitzen verziertes Kleidchen an. Ihre goldroten Locken wurden von einer passenden Schleife aus der Stirn gehalten. Sie quietschte vor Vergnügen und präsentierte stolz ihre erste Zahnlücke, als sie wie eine kleine Königin neben ihrem Vater im Zweispänner zum Hafen fuhr. Die Auktion hatte soeben begonnen. Cormac nahm seine Tochter auf den Arm.
»Du darfst ihn mit aussuchen, aber nur, wenn du mir hoch und heilig versprichst, dass du ihm dann auch gehorchst.« Anne nickte ernsthaft.
»Ich verspreche es. Aber ich will auch ein Pony.« Sie schlang ihre weichen Ärmchen um Cormacs Hals.
»Einen eigenen Sklaven und ein Pony!« Der Vater lächelte.
»Prinzessin, du bekommst ein Pony, aber darauf musst du noch ein wenig warten. Für ein Pony haben wir keinen Platz im Haus. Du kriegst es, wenn wir irgendwann ein größeres Haus haben. Jetzt kaufen
wir erst einmal einen Sklaven, damit du nicht ständig ausbüchst und alleine durch die Stadt streunst.«
Der Händler bugsierte drei gefesselte Schwarze auf das Podest.
»Herrschaften, ich will Ihnen nichts vormachen, die drei hier taugen nicht für die Feldarbeit. Sie sehen es selbst, die Kerle sind nicht mehr ganz taufrisch, aber dafür kommen sie aus einem erstklassigen Stall. Sie waren alle drei Haussklaven in einem Gutshaus. Der Besitzer ist gestorben, und die Witwe kann sich den Luxus nicht länger leisten. Deswegen stehen sie hier. Wenn also einer von Ihnen einen zuverlässigen Neger fürs Haus sucht, wählen Sie jetzt! Ich garantiere erstklassige Qualität!« Zur Bestätigung seiner Worte spuckte der Händler einen braunen Kautabakstrahl vom Podest.
Cormac ging nach vorne und sah die Sklaven prüfend an. Zwei von ihnen hatten graue Strähnen im schwarzen Haar. Doch der in der Mitte machte einen kräftigen Eindruck. Der Mann war ein Hüne, überragte die beiden anderen um mehr als einen Kopf. Seine Arme waren muskulös, die Hände gepflegt und sauber. Sanfte Augen blickten aus einem gutmütigen Gesicht. Cormac setzte seine Tochter ab und schärfte ihr ein, sich nicht von der Stelle zu rühren. Er nahm die vier Stufen des Podests mit
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