Koenigin der Meere - Roman
erzählte überall, dass sie für eine Weile auf den Bahamas gelebt hatte und von dort nach Jamaika gegangen war. Das Schicksal hatte ihr übel mitgespielt, und so war sie zurück nach Charleston gekommen.
Wenn sie ihre knappe Schilderung beendet hatte, erschöpften sich die Gespräche wie eh und je darin, wer wen geheiratet hatte, wo oder wann der nächste Ball anstand und welches Kleid man tragen würde, und Anne nahm die erstbeste Gelegenheit wahr, um sich mit einem Hinweis auf die Kinder zu verabschieden.
Statt die Nachmittage mit aromatisiertem Tee und Klatsch zu verbringen, unternahm sie lieber ausgedehnte Ausritte auf der Plantage oder durchstöberte die Lagerhäuser am Hafen. Am liebsten hielt sie sich im Handelshaus ihres Vaters auf.
Dort suchte sie eines Tages nach einem neuen Stoff für die Polster im Salon und ärgerte sich, dass die Ballen unübersichtlich angeordnet waren. Am Abend setzte sie sich zu ihrem Vater auf die Veranda.
»Daddy, du hast mich gefragt, wie ich mir mein Leben weiter vorstelle?« William Cormac nickte.
»Das Haus ist bis auf ein paar Kleinigkeiten fertig. Es gibt nicht mehr viel zu tun. Ich weiß jetzt, was ich tun möchte.« In den folgenden zwei Stunden legte Anne ihrem Vater ein Konzept vor, nach
dem sie sein Lagerhaus neu strukturieren wollte. Cormac, der ihren Worten zunächst mit abweisender Miene gelauscht hatte, hörte zunehmend aufmerksamer zu. Als Anne ihren Vortrag beendet hatte, stopfte er umständlich seine Pfeife.
»Anne, du bist eine ungewöhnliche Frau, das hast du wahrlich bewiesen. Aber wenn ich dich recht verstehe, willst du jetzt einen Schritt zu weit gehen. Was du vorschlägst, ist Männerarbeit. Ich kann und werde nicht zulassen, dass meine Tochter ihre Tage in einem Kontor verbringt und mit Kaufleuten und Händlern feilscht. Bedenke, wie man in der Stadt über dich reden würde.«
»Daddy, du hast immer gesagt, du willst, dass ich glücklich werde. Aber ich weiß genau, dass ich nicht glücklich werde, wenn ich das Leben führe, das du dir vorstellst. Ich kann und will nicht ewig Zimmer umdekorieren, ich kann und will nicht den ganzen Tag zusehen, wie Mike Mary an den Haaren zieht oder umgekehrt. Grandma Del und Kisu sind rund um die Uhr für die Kinder da. Ich muss noch etwas anderes tun. Daddy, bitte glaub mir, du kannst mich nicht daran hindern. Wenn du mir verbietest, das Lagerhaus nach meinen Vorstellungen zu führen, suche ich mir etwas anderes. Und was die Leute in Charleston dazu sagen, interessiert mich herzlich wenig.« Anne sprach so eindringlich und bestimmt, dass ihr Vater spürte, wie ernst es ihr war. Dennoch war er nicht bereit nachzugeben.
»Warum kümmerst du dich nicht um die Armen und bringst ihnen Kleidung und Essen. Es gibt Wohltätigkeitsbasare, die zu diesem Zweck organisiert werden.« Anne rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her.
»Daddy, hast du mir nicht zugehört? Ich brauche keine Beschäftigung gegen Langweile. Ich will etwas tun, das mich herausfordert. Ich will Geschäfte machen, handeln, einkaufen, verkaufen, Waren prüfen. Daddy, ich will das Lagerhaus! Ich bin sicher, dass ich daraus ein Schmuckstück machen kann. Und ich werde Jubilo mitnehmen. Er ist klug, und er ist dein Sohn. Als Erstes werden wir aufräumen und putzen. Hast du gesehen, wie es in den Ecken und hinter den Regalen aussieht? Überall Ratten und Mäusekot. Die Gewürzsäcke sind angenagt. Da hat es ja in der Bilge meiner Schiffe besser ausgesehen!« Sie stand auf. »Denk darüber nach und sag mir morgen, wie du dich
entschieden hast.« Ihre Worte klangen wie eine Drohung. Cormac sah seine Tochter beunruhigt an.
»Und wenn ich Nein sage, was geschieht dann? Wirst du Charleston ein zweites Mal verlassen?« Annes Augen füllten sich mit Tränen.
»Daddy, ich bitte dich um alles in der Welt, zwing mich nicht dazu.«
William Cormac verbrachte eine unruhige Nacht. Am frühen Morgen stand seine Entscheidung fest. Er wollte seine Tochter kein zweites Mal verlieren. Das Leben mit ihr und den Kindern machte ihn glücklich. Die Tatsache, dass die vornehme Charlestoner Gesellschaft die Nase rümpfen würde, konnte kein Grund sein, das zu riskieren.
Cormac war ein pragmatischer Mann. In den nächsten Tagen begann die Reisernte. Er würde viel Zeit auf der Plantage verbringen müssen. Das bedeutete, dass er keine Zeit hatte, um sich um sein Kontor zu kümmern. Nach reiflicher Überlegung war er zu dem Schluss gekommen, dass nichts dagegen sprach,
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