Koenigin der Meere - Roman
als ihn ein Wasserschwall von oben bis unten durchnässte. Anne legte ihm die Hand auf den Mund.
»Pst! Sei still und schau genau hin, was jetzt passiert.« Während sie weiterruderte, entzündete Rackham einen Brandwerfer und schleuderte
ihn mit aller Kraft auf die Brigantine. Er landete am Heck auf einem Haufen Taue, die sofort Feuer fingen.
Am Hafenausgang hatten sich die Kapitäne des Gouverneurs inzwischen geeinigt, das schräg liegende Schiff, das ohne sichtbare Mannschaft auf sie zukam, zu beschießen. Die Geschütze wurden in Stellung gebracht. Offiziere, wie ihre Vorgesetzten in Nachtkleidung, gaben hektische Befehle und rissen sich gegenseitig die Ferngläser aus den Händen.
Rackham hatte Anne die Ruderblätter abgenommen und legte sich ins Zeug. Voller Bewunderung beobachtete Anne, wie seine Muskeln bei jedem Schlag an- und abschwollen. Sie erreichten die Treasure und kletterten hintereinander über die Reling. Vane stand auf der Deckmitte und wartete auf Rackhams Zeichen.
»Aye, Kapitän«, meldete der knapp, und Vane gab Befehl, den Anker zu lichten. Das Feuer auf der französischen Brigantine züngelte über die Planken, bis zu dem Moment, als die Flammen den ersten Tropfen der Öllachen erreichten. Rogers’ Marine traute ihren Augen nicht, als das Schiff, das sie versenken wollten, plötzlich wie eine fahrende Hölle auf sie zuhielt.
»Feuer frei!«, brüllte der erste Kapitän, und die anderen folgten seinem Beispiel. Doch noch bevor der erste Schuss sich löste, spuckten die Kanonen in der infernalischen Hitze alles aus, was Rackham und seine Männer zuvor hineingestopft hatten. Ein grässlicher Regen aus Blei und Glassplittern ergoss sich über die Schiffe der Briten. Schreiend gingen die Mannschaften in Deckung, während die Kapitäne versuchten, klare Gedanken zu fassen, um sinnvolle Befehle daraus zu machen.
Auf der Treasure herrschte tiefes Schweigen. Vane hatte alle, die nicht an Deck gebraucht wurden, in die unteren Räume geschickt. Der Steuermann hielt das Ruder mit ruhiger Hand. Der Ausguck hockte in seinem Krähennest und sah sich das Durcheinander von oben an. Der Kapitän beorderte mit fester Stimme eine kleine Kurskorrektur.
In diesem Augenblick zerriss ein ohrenbetäubender Knall die Nacht. Mit dem Druck der Explosion flogen die Einzelteile der französischen Brigg durch die Luft. Krachend fielen Mastteile, Stücke der Reling, Planken und andere Trümmer auf die Schiffe der Briten.
Inmitten der allgemeinen Verwirrung glitt die Treasure rechts der Insel unbemerkt auf das offene Meer hinaus.
Woodes Rogers, von der Explosion geweckt, stand am Strand und tobte. Durch sein Fernglas konnte er sehen, was am hinteren Ende des Hafens geschah. Seine Flotte hatte sich aufgelöst, auf dem Wasser schwammen die kläglichen Überreste des französischen Schiffes, und eine Slup segelte im Nachtwind in Richtung Horizont.
»Wer, zum Teufel, ist das? Welcher Hundesohn ist uns da durch die Lappen gegangen?«, brüllte der Gouverneur und wusste nicht, wohin mit seiner Wut. Die Inspektion des Hafens am nächsten Morgen brachte ans Tageslicht, dass Kapitän Vane die Flucht gelungen war. Rogers war außer sich und schleuderte den Flüchtigen nach: »Vane! Ich werde dich jagen und dich an den Galgen bringen, und wenn es bis ans Ende meiner Tage dauert!«
New Providence im Rücken gab Charles Vane Befehl, die Mannschaft an Deck zu versammeln. Seine Männer kamen aus allen Teilen der Welt, Schotten, Engländer, Spanier, Portugiesen, entlaufene Afrikaner und Mulatten, die aus der Sklaverei geflohen waren. Einige waren ehemalige Fronarbeiter oder arme Weiße aus den Kolonien. Einige hatten zuvor ein bürgerliches Leben als ehrliche Seeleute der Marine geführt, doch im offiziellen Seedienst gab es meist karge Kost, niedrige Löhne, harte Arbeit und drakonische Strafen. Auf einem Piratenschiff winkten reiche Beute, Überfluss, Vergnügen, Muße, Freiheit und Macht. Gemeinsam war den Männern auf der Treasure nur eines: Sie waren alle unverheiratet. Zu Vanes festen Prinzipien gehörte es, keine verheirateten Männer in seine Mannschaft aufzunehmen. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass Ehemänner im Kampf weniger belastbar waren.
Der Kapitän stellte sich vor den Mast.
»Leute! Wir haben es geschafft! Rackham hat mal wieder bewiesen, dass er wirklich ein Teufelskerl ist, aber ich möchte euch den Jungen vorstellen, dem wir die Idee zu verdanken haben.« Er winkte Anne zu sich.
»Das ist Bonny.
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