Koenigin der Meere - Roman
ausgewählte Schiff für ihr Vorhaben zu präparieren. Zunächst füllten sie die Kanonen mit allem, was ihnen für den Zweck passend erschien. Nachdem die Geschütze mit Schrot, Musketenkugeln, Nägeln, Metall- und Glassplittern geladen
waren, fügten sie eine ausreichende Portion leicht entflammbaren Pulvers hinzu und stopften das Ganze mit schweren Bolzen.
Rackham verbrachte viel Zeit damit, den genauen Kurs für die französische Brigantine zu berechnen, dann fixierte er das Ruder so, dass keine Abweichung möglich war. Die Segel waren in einem so erbärmlichen Zustand, dass der Segelmacher drei volle Tage mit den Ausbesserungsarbeiten beschäftigt war.
Bevor sie das Schiff verließen, gossen Rackham und seine Männer den Inhalt eines großen Ölfasses auf die Planken. Dann ruderten sie zur Treasure und meldeten ihrem Kapitän: »Befehl ausgeführt.«
Anne hatte schon vor Tagen ihre und Jubilos Habseligkeiten in einen Seesack gepackt und ihn von Calico Jack auf die Treasure bringen lassen. Jeden Abend erwartete sie den Quartiermeister, der versprochen hatte, sie abzuholen, wenn es an der Zeit war.
Wütend sah sie zu einem kleinen Tisch in der Ecke hinüber. Dort saß seit dem späten Nachmittag James Bonny und verspielte mit drei finsteren Kumpanen das Geld, das er ihr zuvor abgenommen hatte.
»Guck nicht so böse. Du hast allen Anlass, dich zu freuen. Es wird eine Weile dauern, bis wir uns wiedersehen. Ich habe auf einem der Schiffe des Gouverneurs angeheuert. Wir stechen morgen in See und schauen mal, dass wir ein bisschen lichtscheues Gesindel auftreiben und die Belohnung einstreichen.« Anne sah ihn angewidert an.
»Verräter! Was bist du nur für ein ekelhaftes Stück Schifferscheiße!« Sie kehrte ihm den Rücken zu.
Kurz vor Mitternacht, die Taverne war bis auf den letzten Platz voll lärmender Männer und ihren kichernden Gefährtinnen, stand Rackham in der Tür. Er trat nicht ein, sondern bedeutete Anne mit einer knappen Geste, ihm zu folgen. Anne schickte Jubilo mit zwei Tellern an einen der vorderen Tische und flüsterte ihm zu: »Wenn du die abgeliefert hast, gehst du vor die Tür. Draußen steht Mr. Rackham, sag ihm, ich komme sofort.« Jubilo nickte bestätigend und zwinkerte ihr noch einmal zu, bevor er die Taverne verließ. Anne füllte acht Krüge mit Rumfustian, stellte sie auf die Tische und rief: »Die gehen aufs Haus! Zum Wohl, Männer!« Dass sie Sekunden später verschwunden war, ging in der allgemeinen Begeisterung unter.
»Nichts wie weg!«, raunte sie Rackham zu. »Drinnen sitzt ein
Kerl, den kenne ich von früher, ein übler Halunke. Er hat mir gerade gesagt, dass er bei Rogers angeheuert hat.« Im Schutz der Dunkelheit erreichten die drei unbemerkt den Hafen. Rackham hatte das kleine Beiboot nur einfach vertäut, löste den Knoten mit einem Handgriff und sprang als Erster in den Kahn.
»Los, ihr Landratten, rein mit euch, und dann volle Kraft voraus.« Er reichte Anne ein Ruder.
Als sie die Brigantine erreichten, zog Calico sein Hemd aus.
»Ihr zwei rudert da rüber. Immer auf die Schaluppe zu. Ich komme nach.« Anne wollte einwenden, dass es doch besser wäre, wenn sie auf ihn warteten, aber Calico ließ sie nicht zu Wort kommen.
»Befehl vom Kapitän«, sagte er knapp, nahm ein Messer zwischen die Zähne und sprang mit einem eleganten Kopfsprung über Bord. Kurz darauf sah Anne ihn an einer Jakobsleiter die Bordwand hochklettern, dann schwang er sich über die Reling und war nicht mehr zu sehen. Ein leises Quietschen signalisierte Anne, dass Rackham den Anker lichtete. Sie wartete, bis sie ihn die Strickleiter wieder hinunterklettern sah, und gab ihm noch eine Minute, um sich vom Schiff zu entfernen. Die Segel der Brigantine blähten sich leicht. Das Schiff nahm Kurs auf die linke Seite der Hafenausfahrt.
Die wachhabenden Matrosen des Gouverneurs wunderten sich über das französische Schiff, das mit leichter Schlagseite auf sie zugesegelt kam.
»Was denken die sich denn? Sind die total besoffen? Wenn die so weitermachen, rammen sie uns.« Der Ausguck entschied, Alarm zu schlagen. Die Kapitäne stürmten an Deck und standen in ihren Nachthemden mit notdürftig geknöpften Uniformjacken und eilig aufgesetzten Hüten an der Reling.
Rackhams Berechnungen erwiesen sich als präzise. Die Brigantine hielt strikten Kurs auf die linke Seite des Hafenbeckens. Prustend und etwas außer Atem tauchte Calico neben dem Beiboot auf und schwang sich hinein. Jubilo schrie leise auf,
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