Königin der Piraten
Ihr Villeneuve einholt, erteilt Ihr ihm die Lektion, die er - und Napoleon - verdient haben. Und«, fügte er feierlich hinzu, »erringt einen Sieg für England, der unvergessen bleiben wird.«
Jubel, Hurrarufe und tanzende Gestalten auf einem von Laternen erleuchteten Deck; Flüche, keuchender Atem, das Klirren aufeinander treffender Stahlklingen und das singende Zischen durch die Luft sausender, zustoßender Entermesser. Diese Geräusche drangen durch die Nacht, als Enolia - einst die Konkubine eines Pflanzers, bis dessen Schiff dem der Piratenkönigin in die Quere gekommen war - sich gemeinsam mit ihrer fantastischen Befreierin in der Fechtkunst übte.
Sie waren einander ebenbürtig, beide muskulös und schweißüberströmt, und obwohl ein Degen viel leichter zu handhaben gewesen wäre als das schwere Entermesser, wollten weder Kapitänin noch Leutnant etwas davon wissen. Streich und Parade, Stoß und Drehung, und noch ein Hieb: Mit Entermessern zu fechten war eine Übung in Kraft und Ausdauer - lebenswichtige Eigenschaften von Piratinnen, die sich auf von Männern beherrschten, gesetzlosen Gewässern behaupten wollten.
»Käpt'n, ich weiß, dass Ihr Euch über ihn ärgert.« Enolia schwang ihre Klinge zu einem nach oben abgefälschten Hieb, den Maeve jedoch glänzend parierte. »Ich weiß, dass er ein Fahnenflüchtiger ist, ein Verräter, ein Spion, aber bevor Ihr ihn zu Nelson schleppt, überlegt noch einmal, was Ihr tut!«
Die anderen Piratinnen brachen in begeisterten Jubel aus, weil ihre Kapitänin sich so gekonnt verteidigte.
»Ich weiß, was ich tue!«, schrie Maeve, auf deren Stirn Schweißperlen glitzerten. Sie zielte auf Enolias ungeschützte Rippen. Im letzten Moment tänzelte ihre Gegnerin zur Seite, sodass die Spitze von Maeves Entermesser nur ihre Bluse traf und sie von der Taille bis zur Schulter aufschlitzte. Damit war der Kampf entschieden, und Maeve warf keuchend ihren verschwitzten Pferdeschwanz über die Schulter zurück, salutierte vor ihrem Leutnant und ließ ihr Entermesser zum Gruß gegen Enolias Klinge klirren. »Außerdem ist er kein Märchenprinz - das hat er mir bewiesen, als ich ihn in seiner Zelle aufgesucht habe!«
Schwer atmend zerrte sie sich das Kopftuch von der Stirn, trocknete sich damit das Gesicht ab und schlenderte zum Rumfass hinüber. Im warmen Schein der Laternen warf ihre Gestalt einen langen schwarzen Schatten. Sie füllte ihren Becher und kippte den Rum hinunter. Dann schenkte sie sich erneut ein; diesmal trank sie das süß brennende Feuerwasser allerdings langsamer und ließ es jede Zelle ihres Körpers durchdringen. Ihr rasender Herzschlag beruhigte sich allmählich, und sie spürte, wie der Passatwind ihre heiße, verschwitzte Stirn küsste und ihr Gesicht, Arme und Oberkörper unter der weiten Bluse trocknete.
»Gut gekämpft, Käpt'n. Ich dachte schon, sie hätte Euch gehabt«, bemerkte Karena, zückte ihr Messer und schälte eine Mango.
»Und ich habe mein Geld auf Enolia gesetzt!« Tia schleuderte eine Münze in einen Holzeimer. »Ich hätte es besser wissen müssen.«
Maeve verzog die Lippen zu einem harten Grinsen. »Aber, aber - glaubst du etwa, ich hätte mein Händchen verloren, Tia?«
»Nein, Käpt'n, nur Euer Herz - an diesen hübschen Halunken. Wir hätten ihn abknallen sollen, als er auf unseren Strand hinaufkroch!«
Mit ihrer Beobachtung hatte sie die empfindliche Stelle ihrer Anführerin getroffen. »Pass auf, was du sagst«, grollte Maeve, »oder du bist die Nächste, die ich zum Schwertkampf herausfordere!«
»Tja, in dem Fall ...«
»Schluss jetzt, Tia«, wehrte Maeve ab. »Für heute Abend reicht es mir.«
Tia verdrehte die Augen und seufzte, denn für sie wie für ihre Kameradinnen bedeutete es eine Auszeichnung, sich mit ihrer überragenden Kapitänin zu duellieren. Immerhin hatte Maeve bei ihrem Vater das Fechten erlernt, und in den sieben Jahren auf der Karibischen See hatte sie ihre natürliche Begabung so perfektioniert, dass nur wenige Männer es wagten, es mit ihr aufzunehmen - und noch weniger überlebten ein Duell mit ihr.
Doch nun hatte Maeve alles andere als den Schwertkampf im Kopf. Sie setzte sich aufs Deck, lehnte sich gegen einen Kanonenwagen und spürte, wie ihr kleines Schiff sich auf einer Woge hob, sich wieder senkte und von neuem in die Höhe schaukelte. Auch wenn sie sich mit aller Gewalt in das Duell mit Enolia gestürzt hatte, war ihr das Bild des Piraten nicht aus dem Sinn gegangen, und sie hatte immer
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