Königin der Piraten
Flüchen, er möge zur Hölle und noch weiter fahren, die Tür vor der Nase zu.
5 . Kapitel
Er war sechsundvierzig Jahre alt und schon fast blind. Er liebte kleine Kinder. Bei Teneriffa hatte er einen Arm verloren, bei Calvi die Sehkraft eines Auges, und bei Abukir hatte er eine Stirnverletzung davongetragen, die den Schädel darunter freigelegt hatte. Gleichwohl hatte er dort die Flotte Napoleons vernichtend geschlagen, was ihm den Titel eines Barons und die Liebe und Bewunderung seiner Landsleute eingebracht hatte. Das Leben in steter Sorge hatte seinen Tribut von seinem Körper gefordert - nach zwei Jahren Belagerung der Franzosen vor Toulon war er ausgezehrt und krank, und jetzt bereitete ihm die Angst, sein England zu enttäuschen, das darauf vertraute, dass er es rettete, Kummer und Gram.
Das Zutrauen des mächtigen Britanniens ruhte auf schmalen Schultern, die kaum breit und kräftig genug erschienen, die goldenen Epauletten zu tragen. Sie gehörten einem kleinen Mann mit blassem, empfindsamem Gesicht, spitzem Kinn, einfühlsamem Mund und ehemals braunem Haar, das inzwischen ergraut war. Sein gesundes Auge blitzte vor Eifer und Intelligenz, und er hatte eine markante, kühne Nase. Er war von schmächtiger Statur, zugleich gütig und leicht aufbrausend und litt an allen möglichen eingebildeten oder tatsächlichen Krankheiten.
So stellte man sich nicht unbedingt einen Nationalhelden vor: Der Ehrenwerte Lord Viscount Nelson - Träger des Bath-Ordens, Herzog von Bronte in Sizilien, Träger des Großen Sankt-Ferdinand-Kreuzes und des Großen Verdienstkreuzes, Ritter des Halbmondordens und des Sankt-Joachims-Ordens, Vizeadmiral der Weißen Flagge und Oberbefehlshaber der Königlichen Flotte im Mittelmeer, der so genannten Mittelmeerflotte - war nicht größer als ein Schuljunge. Und doch verbargen sich unter dem leeren Ärmel, der sorgfältig an der ordengeschmückten Brust festgesteckt war, das Herz eines Löwen, die Grimmigkeit eines Tigers - und glühender Hass auf die Franzosen.
An diesem Morgen sah Horatio Nelson allerdings ganz und gar nicht grimmig aus, als die H.M.S. Victory, gefolgt von der prächtigen Formation der mächtigen Mittelmeerflotte, auf Barbados zuhielt. Er hatte seine Fähnriche eingeladen, nach dem Ende ihrer Wache mit ihm zu frühstücken, und an diesem strahlenden Junimorgen schloss er sich ungezwungen wie in der Jugend ihrem kindischen Benehmen und ihren albernen Scherzen an. In diesem Moment ertönten Rufe vom Ausguck, und kurz darauf erschien Nelsons Flaggkapitän, Thomas Masterman Hardy, und verkündete, die zurückkehrende Fregatte Amphion sei am Horizont in Sicht und komme rasch näher.
Überschwänglich stellte Nelson seine Teetasse ab und sprang auf. »Also, meine jungen Gentlemen, nun werden wir erfahren, was Kapitän Sutton über unseren Freund Villeneuve herausgefunden hat.« Er sprach den Namen »Wiel-nuuv« aus, denn er war zwar mit der Flotte der Franzosen fertig geworden, aber nie mit ihrer Sprache. »Und ob er sich tatsächlich hier vor den Westindischen Inseln befindet! Mögen wir die Franzosen endlich zur Schlacht zwingen!«
Rings um den polierten Mahagonitisch ertönten die Jubelrufe eines Haufens von Kindern und eines strahlenden Admirals, der von allen der Kleinste war.
Er sah den Feuereifer in ihren Augen. »Wegtreten!«
Sie flohen an Deck, doch ein scharfer Tadel von Kapitän Hardy erinnerte sie daran, sich wie junge Offiziere zu bewegen, nicht wie wilde Kinder.
Nelson musste sich beherrschen, um nicht mit ihnen nach oben zu stürmen. Er begann, auf und ab zu schreiten, und als die Fregatte an der Leeseite der Victory beigedreht hatte und ihr von der Gischt tropfnasser Kapitän, der ein ernstes Gesicht machte und darauf brannte, seine Neuigkeiten mitzuteilen, auf die Victory beordert und zu Nelsons Kajüte gebracht worden war, hatte der Admiral sich völlig in seine gespannte Aufregung hineingesteigert.
»Neuigkeiten, Kapitän Sutton!«, rief Nelson erregt, packte den Offizier am Arm und zog ihn in die Kajüte. »Habt Ihr Neuigkeiten von der Vereinigten Flotte, von Villeneuve?«
Sutton schaute erst Hardy, dann den Admiral an und schluckte heftig. »Ich habe mit dem Gouverneur von Barbados gesprochen, Mylord, und ihm Eure Depeschen überreicht.«
»Und?!«
»Unsere Verfolgungsjagd war nicht vergebens, Sir.«
»Seht Ihr, Hardy!« Vor Freude über seinen Triumph lief Nelson rot an. Um seinen folgenden Worten Nachdruck zu verleihen, schlug er mit seiner
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