Königin der Piraten
hinunterrinnen. Mit einem überschwänglichen Ahhh!, das seine Anerkennung zum Ausdruck bringen sollte, balancierte er das Glas auf dem hochgezogenen Knie.
Nelson sah ihn scharf an, zugleich fragend und abschätzend. Gray erwiderte den Blick gelassen, geduldig, entspannt - und heiter.
Nelson knallte sein Glas auf den Tisch. »Nun?«
»Nun was, Sir?«
»Mein Gott, Gray - was habt Ihr mir zu sagen?«
So viel also zu Höflichkeiten und Wiedersehensfreude, dachte Gray sarkastisch. Er legte einen Arm über die Rückenlehne des Sessels. »Was ich zu sagen habe? Also, zunächst einmal, dass ich verdammt froh bin, Euch nach so vielen Jahren wiederzusehen, Sir. Ihr solltet wirklich öfter zu Besuch kommen.«
»Lasst das, Gray. Ihr wisst sehr gut, was ich gemeint habe. Bonaparte wartet nur darauf, England anzugreifen, Wiel-nuuv und die Vereinigte Flotte erledigen Westindien mit links, und Ihr macht Euch aus dem Staub, um mit Maeve, der Piratenkönigin, herumzuturteln! Ihr habt mich wirklich in größte Verlegenheit gebracht, weil ich wohl oder übel bei Eurem Spielchen mitmachen musste. Glaubt Ihr etwa, das fühlt sich hier drin gut an?« Nelson schlug sich mit der Faust auf die Brust. »Glaubt Ihr, es macht mir Spaß, für Euch zu lügen? Ich kann Euch nur raten, mir verdammt gute Gründe zu nennen, Gray.«
Gray verdrehte grinsend die Augen zur Decke, legte sich die Hand aufs Herz und stieß einen theatralischen Seufzer aus. »Und ich dachte, Ihr würdet gutheißen, wie raffiniert ich vorgegangen bin, wie taktisch klug ...«
»Ob ich es gutheiße oder nicht, entscheide ich, wenn Ihr mir erklärt habt, wieso Ihr Euch als Pirat verkleidet habt ...«
»Oh, ich bin auf Beutezug gegangen. Eine Schönheit auf Barbados«, erklärte Gray seelenruhig.
»Und warum Ihr auf einem Schiff des Königs die Piratenflagge gehisst habt ...«
»Ein angehender Pirat muss die passende Flagge zeigen.«
»Und wieso Ihr Euch diese lächerliche Geschichte von dem Verräter ausgedacht habt, nur um Kapitän Lords arme Cousine zu täuschen.«
Gray setzte sich gerade hin. »Wie bitte?«
»Maeve Merrick, die Piratenkönigin der Karibischen See. Das habt Ihr natürlich nicht gewusst, oder? Nicht einmal Euer Flaggkapitän hat etwas davon geahnt, und er fährt schon ebenso lange auf diesen Gewässern herum wie Ihr. Nun schaut mich nicht so entsetzt an. Die Piratin und Kapitän Lord sind miteinander verwandt; er ist ihr Cousin.«
Nelson kniff die Lippen zusammen und genoss es offenbar, dass er, wie gewöhnlich, für eine Überraschung gesorgt hatte.
»Hm ...« Gray fuhr sich mit der Hand durch das glänzende, wellige Haar, das immer noch feucht war. Seine Gedanken überschlugen sich. Maeve war Colins Cousine?! »Das ist wirklich eine Neuigkeit. Wie habt Ihr davon erfahren?«
»Kapitän Lord hat es mir erzählt. Er hat ihren Namen und den ihres Schoners erkannt, als sie vor einigen Tagen eines Abends hier hereinplatzte und verkündete, sie habe einen Fahnenflüchtigen, den sie mir verkaufen wolle. Die Kleine ist anscheinend vor sieben Jahren von zu Hause fortgelaufen; seitdem hat sie niemand mehr gesehen. Ihre Eltern haben sie längst für tot erklärt. - Verdammt noch mal, Gray, was soll ich nur mit Euch machen?«
Für tot erklärt? Die Nachricht traf Gray wie ein Keulenschlag. Wenn die Eltern Maeve für tot erklärt hatten, dann mussten sie, anders als Maeve glaubte, nach ihr gesucht haben! Er musste sie irgendwie finden, ihr das sagen, sie von dieser verfluchten Insel herunterholen und einiges klären - nicht nur zwischen Maeve und ihren Eltern, sondern auch zwischen Maeve und ihm selbst.
»Herrgott, Gray, ich habe Euch gefragt, was ich mit Euch machen soll!«
Gray fing sich rasch wieder. »Wenn ich Euch ersuchen dürfte, Sir, Kapitän Hardy zu bitten, der Triton ein Signal zu geben - ich habe gesehen, dass sie eines Eurer Begleitschiffe ist. Wenn Colin herkommen und mich abholen könnte? Ich habe noch etwas Wichtiges zu erledigen, bevor ich auf Heimaturlaub gehe.«
»Wie nett, dass Euch das ausgerechnet jetzt einfällt. Ihr habt einer Handelsflotte Geleitschutz zurück nach England zu geben, nehme ich an?«
»Ja, wenn sie noch nicht unterwegs ist.«
»Nein, das ist sie nicht. Sie liegt noch bei Barbados vor Anker. Dort wartet auch Kapitän Young von der Königlichen Fregatte Cricket auf seinen Oberbefehlshaber - und er sitzt auf glühenden Kohlen, wenn ich das hinzufügen darf.«
»Young hat eine Engelsgeduld.« Geistesabwesend
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