Königin der Piraten
manche Sachen schafft man einfach nicht, wenn man nur einen Arm hat ...«
»Mylord?«
Mitten in seinem Redeschwall hielt Nelson inne und funkelte Maeve an. Sie dachte daran, wie friedlich er noch vor wenigen Minuten zusammengerollt in seiner Hängematte gelegen und geschlafen hatte, die eine Hand um das Miniaturbild von Emma Hamilton geschlossen, wie ein Kind, das sein Lieblingsspielzeug umklammert. Wie seltsam verwundbar er ausgesehen hatte.
Und wie traurig, dass er - der Mann, der einzige Mann, der dem gefürchteten Napoleon Bonaparte hatte Einhalt gebieten können - nun nicht einmal seinen Rock allein anziehen konnte.
Sie streckte die Hand aus und berührte durch den leeren Ärmel hindurch seinen Armstumpf. Nelson schaute sie freudlos an; sein Blick war zugleich stolz, trotzig, wütend und gedemütigt.
Zum ersten Mal lächelte Maeve. »Es wäre mir eine Ehre, Euch behilflich sein zu dürfen, Sir.«
»Ausgeschlossen. Meine liebe Lady Hamilton ...«
»... wäre vermutlich sehr dankbar für diesen kleinen Gefallen, den ich Euch tun kann - und England.«
Nelson starrte sie an und focht einen inneren Kampf aus zwischen seinem Gewissen und seinen Bedürfnissen. Endlich pflanzte er sich stocksteif vor Maeve auf und drückte ihr wortlos den Rock in die Hand.
In dem Augenblick, als ihre Finger den Stoff berührten, überkam Maeve zum zweiten Mal die entsetzliche Vorahnung eines gewaltsamen Todes. Sie schnappte nach Luft und ließ die Jacke fallen, als hätte sie sich verbrannt. Unter Nelsons durchdringendem Adlerblick lief sie rot an und hob zitternd den Rock wieder auf. Es war doch nur eine Jacke, eine blaue, weiß gefütterte Jacke mit goldenen Tressen und Ehrenabzeichen. Mein Gott, es waren die Orden, die Sterne! Damit würde der Admiral so leicht zu erkennen sein, dass der Schütze aus dem Hinterhalt ihn bequem erschießen konnte. Sie musste sich beherrschen, um den Rock nicht durch die Fenster am Achterschiff der Victory ins Meer zu schleudern. Mit bebenden Händen hielt sie den Rock hoch, sodass der Admiral, der ihr den Rücken zukehrte, mit seinem Arm hineinschlüpfen konnte. Dann bewegte er die stolzen Schultern, um den Sitz der Jacke zu korrigieren, und murmelte ein verlegenes Dankeschön, bei dem er schuldbewusst zum Pastellporträt von Lady Hamilton hinübersah.
Maeve ignorierte seinen leidenden Blick und strich die mit Fransen besetzten Epauletten auf Nelsons starr aufgerichteten Schultern glatt. »Ich bin nur hergekommen, um Euch den Verräter auszuliefern. Eure Emma wird Euch gewiss vergeben, dass ich Euch in einer so ehrenvollen Angelegenheit zur Hand gegangen bin.«
Nelson starrte sie verblüfft an - nicht nur, weil sie seine Gedanken gelesen hatte, sondern auch, weil sie sich so gewählt ausdrücken konnte. Sie musste gut erzogen worden sein. Kapitän Colin Lord, der schließlich ihr Cousin war, hatte ihm alles erzählt über diese Frau, die stolze Tochter eines Kapitäns aus Neuengland und seiner bezaubernden Gattin. Sie war nicht einfach eine Piratin, sondern ein junges Mädchen, das von der rechten Bahn abgekommen, von zu Hause fortgelaufen war und wahrscheinlich seither einige harte Lektionen gelernt hatte.
»Ich weiß, was Ihr jetzt denkt, Mylord«, sagte sie leise. »Aber nein, ich kann keine Gedanken lesen, nur hin und wieder die Zukunft voraussagen.«
Sie lächelte ein verlorenes, trauriges Lächeln, das sie jedoch sofort unterdrückte, indem sie die Lippen zusammenpresste und heftig blinzelte. Wenn sie sich nicht so abgebrüht gegeben hätte, dann hätte Nelson schwören können, dass sie weinte oder geweint hatte. Er runzelte die Stirn, senkte die Brauen jedoch wieder, als er überlegte, ob Gray womöglich die Ursache dieser Tränen war.
»Kommt, Mylord.« Maeve zupfte an Nelsons leerem Ärmel. »Lasst uns diese unangenehme Angelegenheit hinter uns bringen. Je eher dieser Drecks... - ich bitte um Verzeihung. Je eher dieser Verräter mir aus den Augen kommt und Eurer Gerechtigkeit übergeben wird, desto glücklicher bin ich.«
Stolz und hoch aufgerichtet schritt sie zur Tür, und das prachtvolle Haar fiel ihr wallend über den Rücken.
»Wartet.«
Maeve blieb stehen, und Nelson sah, wie sie sich mit dem Handrücken unter einem Auge herfuhr, dann unter dem anderen; blitzschnell, in der Hoffnung, dass er es nicht bemerken würde. Sein Verdacht brannte wie Feuer in seiner Brust, und er sah sie mit seinem durchdringendsten Blick an. »Hat dieser Verräter Euch verletzt,
Weitere Kostenlose Bücher