Königin der Schwerter
der Blitz, heller als die Sonne, stieg über dem Fe l senrund auf Gewaltiger Donner zerriss die Luft über dem Hoc h land, und ein heftiges Beben warf die H ü terinnen von den Füßen. Der Kreis zerfiel, der Zauber brach z u sammen, und Bethia wurde jäh zurückgerissen. Du n kelheit griff nach ihr, und das Letzte, was sie sah, war ein gähnender schwarzer Tunnel in dem zuvor noch festen Felsgestein, an dessen Ende sich ein winziges grünes Leuchten zeigte.
25
Hákon ritt langsam. Zu langsam. Die Hüterin hatte ihm zwei Tage Zeit gegeben, den sicheren Waldrand zu erreichen, der sich am südlichen Horizont als dun k le Linie abzeichnete. Ihm war bewusst, dass es sehr viel länger dauern würde, wenn er sein Pferd weiter so vor sich hin trotten ließ.
In der Nacht war er gerade so weit geritten, dass ihn die Frauen nicht mehr hatten sehen können. Sein Nachtlager hatte er in einer Senke aufgeschlagen, doch Schlaf hatte er keinen gefunden. Unzählige Fragen waren ihm durch den Kopf gegangen, auf die er auch jetzt noch keine Antworten fand. Am schlimmsten aber war die bittere Gewissheit, sich wie ein Narr benommen zu haben. Für wen hielt er sich? Für einen glorreichen Helden, der hilflose Frauen vor dem sich e ren Verderben retten musste? Hákon lachte spöttisch, als er sich seiner folge n schweren Irrtümer bewusst wurde. Aber wie hätte er auch ahnen sollen, dass Tisea einen Schutz besaß? Wie hätte er wissen sollen, dass Ulama zeitlebens den geweihten Dolch von Benize, einen der kostbarsten Schätze des alten Reiches, geh ü tet hatte?
Noch schlimmer aber als der Gedanke, ein Narr zu sein, war die Erkenntnis, nun endgültig zum Ve r räter geworden zu sein. Nicht genug, dass er Zoltans Ruf nicht gefolgt war, weil er nach seiner Schwester suchen wollte. Nun hatte er auch noch den Feinden Torpaks geholfen, ihre Macht zu vergrößern, obwohl es seine Pflicht gewesen wäre, den Dolch Karadek zu bringen.
»Hákon, der Drückeberger, der Narr, der Verr ä ter.« Hákon stieß einen ärgerlichen Laut aus und schüttelte den Kopf. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr wurde ihm bewusst, in welch vertrackter Lage er sich befand.
Er zügelte sein Pferd auf einer Anhöhe und ric h tete den Blick nach Norden, wo Tisea und Peme irgendwo hinter den Hügeln vielleicht schon eine neue Heimat gefunden hatten. »Möget ihr finden, wonach ihr g e sucht habt«, murmelte er leise. »M ö get ihr von heute an in Frieden leben und …«
Ein greller Blitz, der in der Ferne jäh aus dem B o den schoss und den ganzen Himmel in ein widernatü r liches, zuckendes grünes Licht tauchte, ließ ihn abrupt verstummen. Wie gebannt starrte er auf das unglaubl i che Schauspiel, dem gleich darauf ein gewaltiger Do n nerschlag und ein unheilvolles Erbeben folgten.
Magie. Hákon war weder ein Gelehrter noch ku n dig in den magischen Künsten, aber erfahren genug, um zu erkennen, dass die beeindruckende Erscheinung keinen natürlichen Ursprung haben konnte. Mit p o chendem Herzen beobachtete er, wie das Licht lan g sam schwächer wurde und dann ganz erlosch.
Er wartete, aber die Erscheinung wiederholte sich nicht.
Hákon wäre ein schlechter Waldläufer gewesen, wenn er nicht auf den ersten Blick erkannt hätte, dass der Blitz dort aufgetaucht war, wo er Tisea und Peme zurückgelassen hatte. Dort, wo auch die Hüt e rinnen leben mussten.
Sein Zögern währte nicht lange. Er wusste, dass er bei den Hüterinnen unerwünscht war, aber das war ihm gleichgültig, denn er war sicher, dass sich dort eine Katastrophe ungeheuren Ausmaßes ereignet h a ben musste. Voller Sorge um Tisea und Peme wendete er sein Pferd. Eine leise Stimme flüsterte ihm zu, dass es sinnlos war, dass er zu spät kommen würde und sich damit nur selbst in große Gefahr brächte. Aber er wusste, dass er sein Lebtag keine Ruhe finden würde, wenn er nicht wenigstens ve r suchte, den Frauen in ihrem Unglück zu helfen. En t schlossen verdrängte er die mahnenden Gedanken an die Dashken, schnalzte mit der Zunge und trieb se i nen Braunen durch laute Rufe an, in gestrecktem Galopp nach Norden zu la u fen.
***
»Sandra? Was, um alles in der Welt, tust du da?« Fa s sungslos starrte Manon ihre Freundin an, die ihre A f fenskulptur eben noch gegen den Stein der Grabka m mer gepresst hatte. Nun stand sie, in ein grünes Leuchten getaucht, eine Armlänge von der grün schimmernden Wand entfernt, die wie eine sen k rechte Wasseroberfläche aussah, und starrte Manon
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