Königin der Schwerter
Newgrange sein konnte. Ni r gends waren Häuser zu sehen. Keine Straße, kein Auto, kein Mensch und keine Tiere.
Ich bin allein. Der Gedanke hätte sie erschrecken und ihr Angst machen müssen. Aber Manon spürte nichts dergleichen. Es schien, als habe sich ihre Fähi g keit, sich zu ängstigen, im Grab von Newgrange e r schöpft. Alles, was sie fühlte, war eine große Le e re, gepaart mit Ratlosigkeit.
Fröstelnd zog sie die Beine an den Körper und schlang die Arme um die Knie. In Newgrange war es ihr in der Jeans, dem Top und der leichten Stric k jacke fast zu warm gewesen. Hier aber spürte sie eine be i ßende Kälte auf der Haut.
Wo war sie? Auf der Suche nach etwas Vertra u tem ließ Manon den Blick über die Landschaft schweifen. Doch wohin sie auch sah, überall bot sich ihr das gle i che Bild: Sanfte grüne Hügel wölbten sich unter einem wolkenverhangenen Himmel. Es gab nur wenige B ü sche und gar keine Bäume, dafür aber reichlich Felsen und Steine. Nirgends war eine Menschenseele zu s e hen. Nichts deutete darauf hin, dass sich außer ihr noch jemand in dieser Einöde befand.
»Sandra?« Zögernd und viel zu leise kam Manon der Ruf über die Lippen. »Sandra? Wo bist du?«
Mit weichen Knien richtete sie sich auf, in der Hoffnung, etwas erkennen zu können, aber die Scha t ten in den Tälern gaben nicht preis, was sich in ihnen verbarg, und so blieb ihr nichts anders übrig, als noch einmal und sehr viel lauter zu rufen.
»San-draaaaaa!« Der Ruf brach sich an den H ü geln und verhallte in der Ferne. Manon lauschte, erhielt aber keine Antwort.
Ratlos wollte sie sich wieder setzen, als sie plöt z lich Blicke im Nacken spürte. Jemand war hinter ihr. Ganz nah. Es war unheimlich. Sie war sicher, ni e manden gesehen zu haben. Und dennoch … Manon biss die Zähne zusammen, nahm all ihren Mut z u sammen und drehte sich um.
***
Eine knappe halbe Stunde, nachdem die Novizin den Kopf des Simions zwischen den Gesteinstrümmern gefunden hatte, machten sich Bethia und Aideen mit Silfri auf den Weg, um Zarife zu suchen. Die Hüt e rinnen selbst besaßen keine Pferde und konnten auch nicht reiten, aber Silfri war für Bethia, die noch u n ter den Folgen des Schwächeanfalls litt, ein Glück s fall. Etwas unbeholfen hatte die Seherin den breiten R ü cken des Kaltblüters erklommen und ließ sich nun von Aideen führen. Bethia hielt eine Schale mit räucher n dem Nurpuk in den Händen, einem wohlri e chenden Harz, das aus den Nadelsträuchern des Hochlands gewonnen und von den Hüterinnen gern für rituelle Zwecke verwendet wurde. In regelmäß i gen Abständen ließ Aideen Silfri anhalten, damit Bethia mithilfe des Simions prüfen konnte, ob sie noch auf dem richtigen Weg waren.
»Was ist, wenn Zarife im Waldland ist?«, fragte A i deen, als sie eine Weile schweigend nach Süden gega n gen waren.
»Sie ist nicht im Waldland.«
»Nicht?« Aideen wandte sich um. »Woher wisst Ihr das?«
»Ich weiß es.« Bethias Tonfall machte deutlich, dass sie nichts weiter dazu sagen wollte. Und ta t sächlich wechselte sie gleich darauf das Thema. »Du hast sie auch gehört, nicht wahr?«, fragte sie scheinbar zusa m menhangslos.
»Wen?« Aideen wusste sehr wohl, wovon Bethia sprach, aber sie versuchte Zeit zu gewinnen.
»Die Stimme und den grässlichen Pfeifton.« Bethia blieb geduldig. »Ich weiß, dass du sie auch gehört hast, denn ich habe dich mit ihr sprechen g e hört.« Aideen antwortete nicht sofort. Unschlüssig, was sie sagen sollte, suchte sie nach Worten. »War es dieselbe Sti m me, die du auch schon am Heiligtum gehört hast?«, fragte Bethia in ihr Schweigen hinein.
»Nein. Das heißt, ich weiß es nicht«, gab Aideen zu. »Die Stimmen am Heiligtum konnte ich nicht verstehen. Diese hier hat schon öfter zu mir gespr o chen.«
»Öfter? Warum hast du mir nie etwas davon e r zählt?«
»Weil …« Aideen biss sich auf die Lippen. Im Nachhinein erkannte sie, dass es besser gewesen wäre, Bethia sofort einzuweihen. Aber für Reue war es zu spät. Sie konnte nur hoffen, dass die Seherin ihre B e weggründe verstehen würde. »Ihr … Ihr wart so b e schäftigt«, hob sie leise zu einer Erklärung an. »Ich hatte Angst, es Euch zu sagen, denn ich wollte nicht, dass Ihr mich für verrückt haltet.«
»Du hattest Angst, dass ich dich für verrückt ha l te?« Bethia klang belustigt. Sie schüttelte den Kopf und fügte hinzu: »Wie kommst du denn auf so einen G e danken? Natürlich halte ich
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