Königin der Schwerter
Aideen, die wie angewu r zelt vor dem Felsen stand und geistesabwesend auf das graue Gestein starrte. Ein klaffender Riss spalt e te den drei Meter hohen Findling von der Spitze bis zum Boden. Der Fels war zu beiden Seiten mit Ruß b e deckt, das Triskelsymbol in der Mitte bis zur U n kenntlichkeit geschwärzt. Von dem Tor, das sich eben noch in dem Felsen gezeigt hatte, war nichts mehr zu sehen.
»Verräterin! Sie ist eine Verräterin.« Eine der ält e ren Hüterinnen überwand den Schrecken als Erste und hastete auf sie zu. Mit zorngerötetem Gesicht packte sie Aideen an der Schulter und riss sie herum. »Das hast du mit Absicht gemacht. Du … du …!«
Ihre Stimme hallte durch das Felsenrund und brach den Bann, den das Unfassbare über die Hüt e rinnen gelegt hatte. Unvermittelt fand sich Aideen inmitten wütender Hüterinnen wieder, die sie aufs Übelste b e schimpften, drohend die Fäuste hoben und unsanft an ihren Gewändern rissen. »Verräterin!«, riefen sie, und einige nannten sie sogar eine Hure Torpaks.
Aideen wehrte sich nicht. Stumm ließ sie die D e mütigungen über sich ergehen. Sie wusste, dass sie versagt hatte, war verzweifelt und schämte sich entset z lich für das angerichtete Unheil. Sie hatte getan, was Bethia von ihr verlangt hatte, und dabei alles nur noch schlimmer gemacht. Das Tor war g e schlossen, der Simion zerstört. Niemand wusste, wo Zarife jetzt war. Alles, wofür Generationen von H ü terinnen gelebt und gewirkt hatten, war verloren.
»Verstoßt sie!«
»Tötet sie.«
»Fort mit ihr!«
»Sie ist es nicht länger wert, eine Hüterin zu sein.«
Immer mehr Stimmen wurde laut, die eine Bestr a fung bis hin zum Tod forderten. Die Frauen w a ren außer sich. Aideen spürte, wie sie ihr an Kle i dern und Haaren rissen, sie schubsten, kratzten und schlugen. Sie ließ es geschehen. Eine Erklärung für das, was sie getan hatte, kam ihr nicht über die Li p pen. Tief in sich wusste sie, dass die Frauen recht hatten. Sie hatte versagt. Natürlich war sie keine Verräterin, aber darauf kam es gar nicht an. Sie hatte die Hoffnungen und Träume von Generationen ze r stört und großes Unheil über das Land gebracht. Sie konnte die Wut der Hüt e rinnen verstehen, und es erschien ihr nur richtig, wenn sie bestraft wurde.
»Haltet ein!« Bethias Stimme war über das G e schrei hinweg kaum zu verstehen. Irgendwie gelang es ihr dennoch, sich Gehör zu verschaffen. »Haltet ein!«, rief sie noch einmal, zwängte sich durch die aufgebrachte Menge und stellte sich neben Aideen. »Seid ihr von Sinnen?«, fuhr sie die Frauen an. »Wie könnt ihr es wagen, Aideen anzugreifen? Ohne zu zögern hat sie ihr Leben riskiert, um zu vollenden, was ich nicht zu Ende bringen konnte. Dafür gebührt ihr Respekt und nicht der Tod.«
»Sie hat das Tor zerstört«, begehrte eine der Frauen auf »Sie hat die Rückkehr Zarifes verhindert. Sie hat …«
»Sie hat getan, was in ihrer Macht stand.« Bethia legte alle verbliebene Kraft in ihre Stimme. »Sie hat Mut bewiesen und Kräfte entwickelt, denen höchster Respekt gebührt. Am Ende ist es nicht genug gew e sen. Aber dafür kann ihr niemand einen Vorwurf machen.«
»Ich habe genau gesehen, dass sie den Simion in das Tor geworfen hat«, rief eine der Hüterinnen, und and e re stimmten mit ein. »Sie hat den Simion g e worfen. Mit Absicht. Dafür trägt allein sie die Verantwo r tung.«
»Das ist nicht wahr!« Zum ersten Mal wagte A i deen, sich gegen die Anschuldigungen zu wehren. »Es … es war keine Absicht. Da … da war …« Sie ve r stummte. Wie sollte sie den Frauen die Stimme erkl ä ren, die offenbar nur sie hören konnte? Wie ihnen von dem Gespinst erzählen, wenn es niemand außer ihr gesehen hatte? Noch während sie sprach, erkannte sie, dass alles, was sie zu ihrer Verteid i gung hätte anführen können, sich in den Ohren der anderen wie eine l ä cherliche Lügengeschichte anh ö ren musste.
»… ein unerträglicher Pfeifton?« Bethia schaute sie fragend an.
»Ihr … Ihr wisst davon?« Aideen war sprachlos.
»Darüber sprechen wir später.« Bethia lächelte flüchtig und hob die Hand, um die aufgebrachten Hüterinnen zur Ruhe zu mahnen. Sie wollte etwas sagen, aber die Oberin kam ihr zuvor. »Ich verstehe eure Wut, aber es steht uns nicht zu, hier und jetzt über Aideens Schuld und Unschuld zu entscheiden«, erklärte sie mit fester Stimme. »Sie kam Bethias Bitte um Hilfe nach. Was dann geschah, darüber gilt es in Ruhe zu
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