Königin der Schwerter
bedrückt, wagte es aber ansche i nend nicht, Einwände zu erheben.
»Was ist los? Willst du mich nicht führen?«, richt e te Zarife das Wort voller Ungeduld an Aideen.
»Ja, doch …« Aideen biss sich auf die Unterli p pe.
»Aber …?«, fragte Zarife. Eine Warnung schwang in dem Wort mit, die Aideen nicht entging, die sie aber nicht hören wollte.
Zarife würde niemals das Leben einer ihrer Getre u en aufs Spiel setzen, nur um es selbst bequem zu h a ben, dachte sie bei sich und rief sich all die Geschic h ten über das selbstlose Wirken der H o hepriesterin in Erinnerung. Sie konnte verstehen, dass Zarife über die misslungene Anrufung wütend war, aber sie war fest davon überzeugt, dass Zarife Bethias Wohl am Herzen liegen würde, wenn sie nur wüsste, wie es um die S e herin stand.
»Ich warte.« Zarife klopfte ungeduldig mit der Hand auf den Sattel.
»Herrin, ich …« Aideen verstummte. Sie ahnte, dass sie gerade im Begriff war, etwas sehr Mutiges oder sehr Dummes zu tun. Die Ehrfurcht vor der H o hepriesterin verbot es ihr, deren Handeln in Frage zu stellen. Die Sorge um Bethia hingegen drängte sie, es nicht schweigend hinzunehmen. Wenn Bethia es nicht wagte, für sich zu sprechen, musste sie ihr helfen. »Herrin, das Pferd«, hob sie an und nahm all ihren Mut zusammen. »Es … es ist wichtig für Bethia. Die Anrufung hat sie sehr geschwächt. Es wäre besser, wenn sie …«
»Aideen, bist du von Sinnen?«, fiel Bethia ihr ins Wort. »Wie kannst du es wagen, die Entscheidung der Hohepriesterin anzuzweifeln?«
»Deine Novizin ist entweder sehr dumm oder sehr mutig«, richtete Zarife das Wort an Bethia. »Hast du versäumt, sie Demut zu lehren?«
»Herrin, ich …«
»Unwichtig!« Zarife gebot Bethia mit einer kna p pen Handbewegung zu schweigen. »Auch ich bin e r schöpft. Ich reite. Nimm den Strick, Mädchen, und führe mich zu den Hüterinnen.«
Aideen warf Bethia einen kurzen Blick zu. Die S e herin schloss die Augen und nickte. »Lass es gut sein, Aideen«, sagte sie. »Es geht mir besser. Ich schaffe das schon.« Dann holte sie tief Luft, um Kräfte zu sa m meln, und setzte sich in Bewegung.
***
Nie hätte Manon geglaubt, dass sie irgendwann ei n mal so hilflos und allein sein würde. Es war eisig kalt, und sie hatte weder etwas zu essen noch zu trinken bei sich. Wenn nicht zufällig jemand hier vorbeikam, musste sie selbst nach Hilfe suchen. Die Angst vor Sandra oder vielmehr dem Wesen, zu dem sie geworden war, war jedoch so groß, dass sie den Augenblick, da sie die Flucht fortsetzte, immer we i ter hinauszögerte.
… dem Wesen, zu dem Sandra geworden war. Der Gedanke beschrieb wie kein anderer, was sie gerade erlebt hatte. Trotzdem weigerte sich ein Teil von ihr immer noch hartnäckig, daran zu glauben. Sandra war immer noch Sandra. Was auch in diesem seltsamen Tunnel mit ihr geschehen war, sie war immer noch sie selbst.
Und wenn sie von einer fremden Macht besessen ist? , wisperte es in ihr. Unsinn. Manon schob den Geda n ken weit von sich. Besessen . So etwas gab es nur in Horrorfilmen.
Es wirkte ja auch wie in einem Horrorfilm. Die Stimme in ihr gab keine Ruhe. Die Augen, die Blitze, der Schrei … Sie hat versucht, mich zu töten.
Nein, sie hat mich gewarnt. Nur weil sie gerufen hat, dass ich fliehen soll, bin ich jetzt noch am L e ben. Sie hat …
Manon stockte mitten in den Überlegungen und ließ die Ereignisse auf dem Hügel im Geiste noch einmal an sich vorüberziehen. Genaugenommen war es, als hätten zwei Frauen auf dem Hügel gestanden. Die Sandra, die ihr helfen wollte, und eine fremde Sandra, die sie töten wollte. Zwei Frauen in einem Körper, die unterschiedlicher nicht sein konnten …
Schizophrenie! Manon überlief es eiskalt. War das möglich? War es das, was mit Sandra geschehen war? »Du veränderst dich, Sandra.« Die Worte, die sie selbst zu Sandra gesagt hatte, kamen ihr plötzlich wieder in den Sinn. Hatte sie es nicht längst gespürt? Hatte sie nicht schon viel früher Anzeichen davon entdeckt, dass Sandra handelte, als sei sie nicht mehr sie selbst?
Sie ist besessen , wisperte die Stimme in ihr, aber Manon hörte nicht auf das, was ihre überreizten Si n ne sie glauben machen wollten. Besessenheit war für sie ein Ausdruck aus dem tiefsten Mittelalter. Er besagte im Grunde nichts anderes, als dass jemand eine gespa l tene Persönlichkeit hatte. Schizophrenie eben. Sie ha t te sich damit noch nie beschäftigt, doch es entsprach ihrer Natur,
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