Königin der Schwerter
hepriesterin verstehen, aber die Wut erschien ihr zu zügellos, irgendwie unangemessen. Nach allem, was die Lege n den über Zarife erzählten, hatte sie sich die Hohepriesterin ganz anders vorgestellt. Hart und u n nachgiebig gegenüber ihren Feinden, aber großmütig und freun d lich zu denen, die auf ihrer Seite standen. Aideen ve r suchte, ihre Gefühle in Worte zu kleiden, fand aber nur eines, das zutraf: Sie war en t täuscht.
Zarife unterschied sich so gänzlich von dem Bild, das Aideen sich von ihr gemacht hatte, dass sie nicht anders konnte, als enttäuscht zu sein. Herzlos war sie und kalt, berechnend und selbstgefällig. Aideen war überzeugt, dass sie keinen Finger rühren würde, Bethia zu helfen, wenn diese in Not geriet. Doch bei aller Enttäuschung konnte auch sie sich nicht völlig von dem Bild lösen, das sie über so viele Jahre in ihrem Herzen getragen hatte. Der Teil von ihr, der immer noch fest an Zarife glaubte, schämte sich für ihre G e danken und flüsterte ihr zu, dass sie die Hohepriest e rin ja noch gar nicht richtig kennengelernt hatte.
Du musst ihr mehr Zeit geben, wisperte es in ihr. Z a rife ist der Inbegriff aller Tugenden, die wir Hüt e rinnen preisen, aber sie war lange fort und muss sich erst wieder zurechtfinden. Wenn ihr das gelu n gen ist, wird sie wieder zu dem werden, was die L e genden von ihr sagen.
Aideen seufzte und blickte auf. Wie gern würde sie der Stimme glauben. Aber es war schwer, so furchtbar schwer.
Zarife saß kerzengerade auf Silfris Rücken und ließ sich von ihr führen, während Bethia mit schw e ren Schritten hinter ihnen herstapfte und keuchend ve r suchte, den Anschluss nicht zu verlieren. Aideen spü r te, wie ihr bei dem Anblick die Kehle eng wu r de. Bethia hatte gesagt, dass es ihr besser gehe. Aber das war nicht wahr. Sie hatte gelogen.
Immer wieder warf Aideen einen besorgten Blick zurück. Bethia versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, aber es schien ihr sehr schlecht zu gehen. O f fenbar hatte die gewaltsame Unterbrechung der Anr u fung sie doch weit mehr mitgenommen, als sie zugeben wollte. Das Erste, was Aideen von Bethia g e lernt hatte, war, dass sie die Seherin niemals st ö ren durfte, wenn diese in tiefer innerer Versenkung war. Das, so hatte Bethia ihr erklärt, könne schwe r wiegende Folgen haben. Sie hatte von Schwachsinn oder G e dächtnisverlust gesprochen, weil Körper und Geist durch den Schrecken nicht mehr richtig zusamme n fänden. Aber auch davon, dass ihr altes Herz von dem Schock Schaden nehmen könne.
Aideen hörte Bethia hinter sich aufkeuchen. Die rechte Hand auf die Brust gepresst, schleppte sie sich nur noch gebückt dahin. Der Anblick brach A i deen fast das Herz. Bethia bewegte sich wie eine Greisin, und es schien nur eine Frage der Zeit, bis die Kräfte sie endgültig verließen. Aideen nahm all ihren Mut z u sammen und sprach Zarife an. »Ve r zeiht, Ehrwürdige, aber wir müssen rasten. Bethia geht es nicht gut.«
»Du erdreistest dich, mir Vorschriften zu m a chen?« Der Blick, mit dem Zarife sie von oben herab muste r te, ließ Aideen innerlich zusammenzucken. Aber die Furcht, dass Bethia etwas passieren könnte, war stärker als alle Vorsicht. »Bitte«, flehte sie. »Wir müssen Bethia eine Rast gönnen.«
»Sie sagte selbst, dass es zu den Höhlen nicht weit ist.« Zarife schien es nicht zu kümmern, dass die Krä f te der Seherin immer schneller schwanden. »Das kleine Stück wird sie doch wohl noch durc h halten.« Kaum hatte sie das gesagt, brach Bethia mit einem erstickten Schmerzenslaut zusammen.
»Bethia!« Aideen ließ den Führstrick los und eilte zu der Seherin, die verkrümmt auf dem Boden lang. »Bethia!« Sie fiel auf die Knie, zog rasch ihren U m hang aus und bettete den Kopf der Seherin darauf.
»Aideen.« Bethias Lider flackerten. Ihr Blick irrte unstet umher. »Bist du da, meine Tochter?«
»Ich bin hier.« Aideen schluckte hart und ergriff Bethias Hand. Sie fühlte ein Prickeln in der Nase. Weinen konnte sie nicht.
»Aideen … du musst …« Bethia sprach so leise, dass Aideen sie kaum verstehen konnte. Sie beugte sich weit vor und lauschte. »… die Stimme … die Sti m me.«
Aideen war so aufgeregt und voller Sorge, dass sie den Zusammenhang der Wortfetzen nicht verstand. »Bitte, Bethia, geht nicht fort«, flehte sie. »Ich muss doch noch so viel lernen. Ihr dürft mich jetzt nicht allein lassen.«
Bethia atmete schwer. Ihre Lider waren geschlo s sen. Dann ganz
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