Königin der Schwerter
nicht viel älter sein konnte als sie selbst. Auch trug sie sehr sonderbare und der Jahreszeit unangemessene Kleidung: eine enge blaue Hose und ein Hemd, das mehr Haut entblößte, als es verdec k te. Sie musste sehr frieren, aber davon war nichts zu spüren, als sie die Stimme erhob. »Was ist? Seid ihr stumm oder schwachsinnig? Warum starrt ihr mich so an?«
Aideen bemerkte beschämt, dass sie die Fremde die ganze Zeit angestarrt hatte. Auch Bethia schien die unfreundliche Begrüßung die Sprache verschl a gen zu haben. Jetzt raffte sie ihr Gewand, glitt von Silfris R ü cken und verbeugte sich ehrerbietend, i n dem sie auf die Knie sank und die Stirn auf den B o den presste.
Hastig ließ Aideen den Führstrick des Pferdes los und tat es ihr gleich. Diese tiefe Verbeugung war eine Form der Demut, die unter den Hüterinnen nur bei hohen Festen zu Ehren der Götter Anwendung fand. Es kam ihr seltsam vor, einem Menschen so die Ehre zu erweisen, aber sie vertraute Bethia und hoffte, dass sie alles richtig machte.
»Bitte verzeiht uns unser Erstaunen, ehrwürdige Zarife«, hörte sie Bethia sagen. »Wir sind auf der S u che nach Euch, um Euch zu den Hüterinnen zu fu h ren, hatten aber nicht zu hoffen gewagt, Euch so nah bei den Höhlen zu finden. Ich bin Bethia, Seh e rin im Kreis der Hüterinnen, die Euch ewige Treue geschw o ren haben. Jene, die mich begleitet, ist me i ne Novizin Aideen.«
»Eine Seherin sollte immer wissen, wo sie suchen muss.« Zarifes Tonfall war schneidend, ein Zeichen dafür, wie erbost sie war. Ohne auf die Begrüßung einzugehen, fuhr sie fort: »Ich frage mich, warum ihr überhaupt nach mir suchen musstet. Das Welte n tor befindet sich an geweihter Stätte, wo sich einst der Weiße Tempel Benizes über dem Hochland e r hob. Dort hätte ich ankommen müssen, nur dort. Nicht hier mitten in der Wildnis. Wie konnte das geschehen? Sind meine Anweisungen im Strom der Zeit verloren gegangen? Oder haben die Hüterinnen sie nicht ric h tig befolgt?«
»Eure Weisungen sind unversehrt«, beeilte sich Bethia zu erklären. »Wir haben sie gehütet wie einen Schatz, all die Jahrhunderte lang. Jede Seherin lernte ihren Wortlaut auswendig, um vorbereitet zu sein für den Tag, an dem Ihr endlich zu uns zurückkehren würdet. Wir haben alles so gehalten, wie Ihr es b e stimmt habt. Das Feuer, der Gesang, der Simion … Wir haben das Tor im Steinkreis geöffnet und Euch den Weg gewiesen. Wir haben den Simion …«
»Und warum bin ich dann nicht dort?«, fiel Zarife Bethia ins Wort. »Warum bin ich hier? Mitten im Nichts?« Ihre Worte schnitten wie Schwerter durch die Luft, und selbst Aideen spürte die Drohung, die darin mitschwang.
»Es … es gab ein Missgeschick.« Bethia stockte.
»Ein Missgeschick?«, brauste Zarife auf. »Was seid ihr für jämmerliche Hüterinnen, dass es euch nicht einmal gelingt, eine einfache Anrufung durc h zuführen. Unglaublich. Ich komme zurück, um B e nize zu neuem Ruhm zu fuhren, und was finde ich vor? Einen Ha u fen unfähiger Frauen, die nicht ei n mal in der Lage sind, ihre Hohepriesterin gebührend zu empfangen.« Sie hob die Hände in einer verzwe i felten Geste und wandte sich Aideen zu. »Sprich du!«, forderte sie. »Wie viele seid ihr?«
»Etwa fünfzig, Herrin«, antwortete Aideen mit g e senktem Blick.
»Fünfzig?« Zarife lachte auf. »Ist das alles? Ist dies das Heer, das auf meine Rückkehr wartet, um dem elenden Gesindel aus Torpak den Garaus zu machen?«
»Wir hörten, dass sich in den Wäldern ein Rebe l lenheer formiert, das nur auf Euren Befehl wartet«, wagte Aideen zu sagen.
»Rebellen? Soso.« Zarifes Stimme wurde etwas we i cher, als fände sie Gefallen an dem Gedanken. »Nun, das ist immerhin etwas. Wie viele Krieger zählt es denn, dieses Rebellenheer?«
»Verzeiht, Herrin, aber auch das wissen wir nicht.«
»Ihr wisst es nicht?«, herrschte Zarife Aideen an. Sie war völlig außer sich. »Bei den Göttern, gibt es denn überhaupt etwas, das ihr wisst?« Sie ve r stummte, als müsse sie nachdenken. »Steht auf«, befahl sie schlie ß lich. »Beide. Bringt mich zu eurer Oberin. Ich habe mit ihr zu reden.« Sie wandte sich um, ging zu Silfri und schwang sich wie selbstve r ständlich auf dessen Rücken.
Aideen sah es mit Sorge. Das Pferd war wichtig für Bethia, die noch immer geschwächt war. Es e r schien ihr nicht richtig, dass Zarife ritt, während die alte S e herin laufen musste. Verstohlen warf sie Bethia einen Blick zu. Sie wirkte
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