Königin der Schwerter
ihr Blick auf die Steinschleuder, mit der die Kinder im Wald auf die Jagd gingen. Peme b e herrschte die Kanka mit großem Geschick. Tisea steckte sie rasch in ihr Bündel. Draußen hielt der Tag bereits Einzug in das Dorf. Erste Stimmen wurden laut. Die Zeit drän g te.
»Peme!« Sanft rüttelte sie ihre Schwester an der Schulter. »Peme, wach auf.«
»Hmm …« Peme verzog das Gesicht und rollte sich auf die andere Seite.
»Peme!« Tiseas Stimme wurde drängender. »Wach auf, wir müssen gehen.« Mit einem Ruck zog sie ihrer Schwester die Decke fort, rollte sie zusammen und fügte sie dem Gepäck hinzu. Peme setzte sich auf Sie war jetzt wach.
»Schscht!« Tisea legte ihr mahnend einen Finger auf die Lippen, obwohl sie wusste, dass Peme ihr Schwe i gen nicht brechen würde. »Sei ganz still«, sagte sie mit einem Kopfnicken in Richtung des N e benraums. »Ich will nicht, dass er aufwacht.« Dann reichte sie Peme die Hand, half ihr auf und sagte: »Komm, wir müssen los.«
Morgennebel hing träge zwischen den Bäumen, als die beiden Schwestern durch das Dorf hasteten. Der Wind schlief, und es war kalt, aber ein rötlicher Schimmer am Himmel kündete wie schon seit W o chen von der Rückkehr von Sonne und Wärme.
Hoch über ihren Köpfen lieferten sich zwei Hase l hörnchen eine wilde Jagd durch die herbstlich gefär b ten Baumkronen. Peme blieb stehen, um die putzigen Tiere zu beobachten, aber Tisea fasste sie am Arm und zerrte sie mit sich. Weit kam sie nicht. Nach weniger als zwanzig Schritten blieb Peme ei n fach stehen. Mit einem Ruck befreite sie sich aus Tiseas Griff, ve r schränkte trotzig die Arme vor der Brust und schaute ihre Schwester finster an.
»Was soll das denn jetzt?« Tisea stellte ihr schweres Bündel auf das trockene Laub am Boden und seufzte. Sie war in Eile und nicht gewillt, sich von einem b o ckigen Kind aufhalten zu lassen. »Lass den Unsinn und komm mit.«
Peme schob trotzig die Unterlippe vor und schü t telte den Kopf. Die Botschaft war unmissverstän d lich. Sie würde nicht weitergehen, bevor sie erfahren hatte, was der überstürzte Aufbruch zu bedeuten hatte.
»Das erkläre ich dir später«, sagte Tisea voller U n geduld. Dann besann sie sich und sagte etwas freundl i cher: »Also gut, ich gehe zu Ulama – kommst du nun mit?«
Als sie den Namen der Geschichtenweberin hörte, hellte sich Pemes Miene auf. Wie alle Kinder liebte auch sie die alte Frau, die so wunderbar erzählen konnte. Die Geschichtenweberin besaß auch viele Ti e re. Tauben, Hühner, Katzen, eine Ziege, und o b wohl sie schon seit Jahrzehnten nicht mehr reiten konnte, nannte Ulama auch Silfri, einen kräftigen Kaltblüter, ihr Eigen. Früher war Peme mit den a n deren Kindern oft zu Ulama gegangen, um ihr mit den Tieren zu helfen. Vor allem das Pferd hatte es ihr angetan. Silfri hatte ursprünglich einem Holzfä l ler gehört, der ihn zum Holzrücken eingesetzt hatte. Doch dann war das Tier in eine Falle getreten und hatte sich schwer ve r letzt. Der Holzfäller hatte es schlachten wollen, aber Ulama hatte es ihm abg e kauft und gesund gepflegt. Sehr zur Freude der Ki n der, die Silfri schnell ins Herz geschlossen hatten. Zwar lahmte der Wallach auch nach seiner Gen e sung, aber das störte die Kinder nicht. Peme war Silfri oft geritten. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie sich aber auch von ihm. zurüc k gezogen. Die Aussicht, das geliebte Pferd wiederzus e hen, schien ihr jedoch zu gefallen, denn sie lief nun voraus.
Tisea atmete auf. Mit einem raschen Blick über die Schulter vergewisserte sie sich, dass ihnen ni e mand folgte. Dann nahm sie ihr Bündel wieder auf und eilte ihrer Schwester hinterher.
Wenn Ulama überrascht war, dass Tisea nicht allein kam, so ließ sie es sich nicht anmerken. Eben in dem Augenblick, da Tisea und Peme die Hütte erreichten, trat sie aus der Tür, als hätte sie die beiden schon von Weitem gesehen, und begrüßte sie freundlich. »Du warst aber lange nicht hier«, wandte sie sich mit einem Anflug von Bedauern an Peme. »Silfri hat dich schon sehr vermisst. Er steht im Stall. Möchtest du ihn bes u chen?«
Peme nickte. Ihre Augen leuchteten.
»Dann lauf gleich zu ihm.« Ulama lachte. »Du weißt ja, wo das Futter steht. Über eine Mohrrübe freut er sich immer.«
Kaum hatte sie das gesagt, lief Peme auch schon los. Ulama schaute ihr nach. »Sie hat immer noch so kurze Haare«, stellte sie an Tisea gewandt fest. »Und sie spricht immer noch nicht.«
»Nicht
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