Königin der Schwerter
fröstelte bei dem Anblick, aber Bethia schien die Kälte nicht zu spüren. »Heiliges Wasser, du bist die Kraft, die meinen Körper und meine Se e le reinigt …« Die Stimme der Seherin schwebte klar und kraftvoll durch die Nacht. Die Worte wurden von den Felsen zurückgeworfen und erhielten d a durch einen machtvollen Nachhall. Aideen spürte, wie sich die feinen Härchen an ihren Armen aufstel l ten, während ihr gleichzeitig ein wohliger Schauder über den R ü cken lief. Gefangen von der Magie des Augenblicks, lauschte sie der rituellen Anrufung, wohl wissend, dass sie von nun an nichts mehr sagen und sich nicht mehr bewegen durfte. Bethia war auf dem Weg zu den Gei s tern, und sie wollte die Zwi e sprache auf keinen Fall stören.
Immer noch unbekleidet, setzte sich die Seherin ans Feuer, nahm einen rußgeschwärzten Stock zur Hand und zeichnete sich damit drei schwarze Spiralen obe r halb ihrer Brüste auf den Körper, die die Form eines Dreiecks bildeten. Dann ging der Mond auf Silbernes Licht fiel durch die einzige Öffnung des Rings aus Felsen und ließ den Körper der Seherin in einem gei s terhaften Licht erstrahlen.
»Heiliges Feuer, du bist die Kraft, die meine Seele befreit …«
Bethia nahm eine Handvoll Kräuter, warf sie in die Glut und schloss die Augen. Die frischen Blätter ve r brannten dampfend. Aideen sah, wie Bethia den au f steigenden Rauch tief in ihre Lungen sog, und b e merkte, dass ein leichter Luftzug auch ihr den Duft der Kräuter zutrug. Neugierig schloss sie die Augen und atmete tief durch, so, wie sie es bei Bethia gesehen hatte. Die Kräuter rochen mild und würzig.
»Heilige Kräuter, ihr leitet mich und öffnet mir den Weg.«
Wieder zischte und dampfte es, als Bethia eine Handvoll anderer Kräuter ins Feuer warf. Der Rauch war streng und beißend, und obwohl Aideen nicht so dicht am Feuer saß, wurde ihr davon schwindelig. Während sie noch gegen das Gefühl ankämpfte, warf die Seherin auch die letzten Blätter ins Feuer und bat die Geister, ihr ein Zeichen zu geben.
Aideen konnte ihre Worte nicht verstehen. Sie füh l te sich seltsam, ganz so, als wate sie im Geiste durch einen zähen Nebel, der nur ein paar Fetzen von dem durchließ, was Bethia sagte.
»Zeig mir«, forderte die Seherin mit vom Rausch schwerer Stimme. »Simion«, hauchte sie. Und i m mer wieder: »Simion … Simion … Simion …«
Die magische Anrufung berührte etwas in Aideen und trug sie mit sich fort. Sie hatte das Gefühl zu schweben und spürte, wie sich in ihr etwas öffnete. Im Geiste sah sie ein helles Licht, das sie lockte, näher zu kommen und zu schauen, was sich dahinter verbarg. Langsam schwebte sie darauf zu und sah …
… weit über sich das Sonnenlicht golden durch Baumkronen fluten. Die Blätter bewegten sich im Wind und zauberten ein ständig wechselndes Muster aus Licht und Schatten an den Himmel. Aideen kon n te den Blick nicht davon lassen. Erfüllt von Staunen und Begeist e rung, streckte sie die Arme aus und versuchte nach dem wundersamen Lichtspiel zu greifen. Hin und wieder streifte ein Sonnenstrahl ihr Gesicht. Dann lachte sie und schloss geblendet die Augen. Auch andere schienen ihre Freude daran zu haben. Aideen hörte Kinderlachen und Frauensti m men, die entzückte Laute von sich gaben, wenn sie sich bewegte.
Die Welt war erfüllt von Frieden, Geborgenheit und Glück, wie Aideen es noch nie erlebt hatte, und sie wünschte, sie könnte ewig hierbleiben. Da schob sich jäh ein Schatten vor den funkelnden Himmel. Das Kinderl a chen erstarb. Die Frauen schrien auf. Geborgenheit und Glücksgefühl zerplatzten wie Luftblasen auf dem Wasser, und wenn Aideen auch keine Furcht fühlte, so spürte sie doch, dass etwas Furchtbares geschah. Finster und b e drohlich senkte sich der Schatten auf sie herab und wurde zu einer dämonischen Fratze, die ihr den Atem stocken ließ. Hände griffen nach ihr, hoben sie auf und trugen sie fort, während das Weinen der Kinder und die verzweife l ten Schreie der Frauen immer weiter hinter ihr zurüc k blieben …
»Aideen?« Jemand rüttelte an ihrer Schulter. »A i deen, bei allen Göttern von Benize, wach auf!« Etwas drang scharf und beißend in ihre Nase und zerrte sie in die Wirklichkeit zurück. Ruckartig ric h tete sie sich auf, würgte, hustete und schnappte nach Luft.
Es dauerte einige Herzschläge, bis sich das ve r schwommene Bild vor ihren Augen klärte. Bethia saß neben ihr auf dem Boden, das Gesicht von Sorge g e zeichnet.
Weitere Kostenlose Bücher