Königin der Schwerter
empfand, in nichts nach. Bisher hatte es zwischen den beiden keine B e rührungspunkte gegeben. Diesmal jedoch standen sich die Pflichten so unvereinbar gegenüber wie Feuer und Wasser.
Einige Minuten überlegte er noch, dann fasste er einen Entschluss. »Also gut«, sagte er. »Ich bleibe hier.«
***
Nach allem, was Aideen über Bethia wusste, hatte sie nicht damit gerechnet, dass diese sie warm und her z lich empfangen würde. Wie erwartet, war die Begr ü ßung dann auch eher unterkühlt verlaufen. Mit wen i gen Worten hatte die Seherin ihr erklärt, wo sie schl a fen und ihre Habseligkeiten ablegen konnte. Dann hatte sie sich wie selbstverständlich an den Tisch z u rückbegeben und war mit der Arbeit fortg e fahren, als sei sie allein. Unsicher, was sie als Nächstes tun sollte, hatte Aideen sich auf einen Stuhl gesetzt und beobac h tete nun schon seit einer halben Stunde ohne echtes Interesse, wie Bethia Blätter und Kräuter hackte, in einen Kessel mit dampfendem Wasser gab und unter monotonem Gemurmel umrührte. Inzwischen war Aideen zu der Überzeugung gelangt, dass alles, was sie jemals von den anderen über Bethia gehört hatte, der Wahrheit entsprach. Die Seherin war überaus sonde r bar und erweckte selbst bei der Arbeit den Eindruck, als b e fände sich ihr Geist in einer anderen Sphäre.
Gewiss hält sie mich für eine dumme Gans, dachte Aideen, die unter der Nichtbeachtung litt. Ein paar Mal war sie versucht, ein Gespräch zu beginnen, doch die Nähe der ehrwürdigen Seherin machte sie befa n gen. Am liebsten hätte sie den Raum wieder verlassen. Allein der Anstand verbot ihr, dies ohne Erlaubnis zu tun, denn immerhin hatte die Oberin selbst sie hierher b e ordert. Dieser Befehl konnte nur rückgängig g e macht werden, wenn Bethia sie persönlich fortschic k te. Dafür musste die Seherin aber erst einmal selbst etwas sagen.
Schließlich wurde es Aideen zu dumm. Sie nahm all ihren Mut zusammen und fragte: »Ihr mögt mich nicht – oder?«
»Was sieht der alte Leitwolf, wenn die jungen Wö l fe heranwachsen?«, erwiderte Bethia rätselhaft, ohne im Umrühren innezuhalten.
»Was er sieht?« Aideen verstand nicht. »Was hat das mit mir zu tun?«
»Denk nach.«
Aideen ärgerte sich, dass die Seherin das G e spräch durch die Metapher in eine andere Richtung lenkte, ohne ihre Frage zu beantworten. »Wenn ich der junge Wolf bin«, folgerte sie nach einer Weile, »seid Ihr der Leitwolf.«
Bethia antwortete nicht. Aideen nahm es als Z u stimmung. »Und was sieht der Leitwolf?«, fragte sie leicht gereizt.
Die Seherin zog den Löffel aus dem Kessel und le g te ihn auf den Tisch. Zum ersten Mal an diesem Tag schaute sie Aideen direkt in die Augen. »Er sieht sein Ende.«
»Aber …«
»Kein Aber«, fiel Bethia ihr ins Wort. »Die Ob e rin hat dich zu mir geschickt, damit du meinen Platz ei n nehmen kannst, wenn ich die letzte Reise antrete. So war es damals, als ich zu Elna kam, so war es bei Elna selbst und immerfort. Es ist der Zyklus von G e burt, Leben und Tod, dem wir uns alle stellen mü s sen. Das Rad der Zeit steht nicht still, nicht für mich und nicht für dich. Irgendwann wirst du an diesem Kessel stehen und dir die törichten Fragen einer N o vizin anhören müssen. Du wirst alt sein und sie jung, und in ihrem Gesicht wirst du sehen, was nach dir sein wird. Sie wird der erste Vorbote des Todes sein und dich jeden Tag aufs Neue daran e r innern, dass deine Tage gezählt sind. Nun beantwo r te dir selbst die Frage: Wirst du dich freuen, sie bei dir zu haben? Wirst du sie mögen?«
Aideen schaute betroffen zu Boden. So hatte sie es noch gar nicht gesehen. Tief in sich spürte sie, dass etwas falsch war an der Art, wie Bethia die Dinge b e trachtete, aber sie konnte es nicht in Worte fassen. So nickte sie nur und sagte: »Ich verstehe.«
»Nein, du verstehst es nicht. Nicht wirklich«, w i dersprach Bethia heftig. »Du bist zu jung. Der Tod ist dir noch fremd.«
»Wenn … wenn ich wieder gehen soll, dann müsst Ihr es nur sagen.« Plötzlich war es Aideen unang e nehm, sich so überstürzt in das Leben der Seherin g e drängt zu haben. In dieser Höhle war kein Platz für sie, das spürte sie genau. Sie konnte Mon a te und Jahre hier verbringen und würde doch immer eine Fremde bleiben. Unerwünscht und ungeliebt.
»Kann der Leitwolf das Schicksal aufhalten, i n dem er die Jungen tötet?« Bethia lachte freudlos. »Das Alte muss dem Neuen weichen, so war es, und so wird es
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