Königin der Schwerter
a gen unter den anderen, die Seiten waren verknickt. Sandra glättete das Papier und wollte die Illustrierte gerade wieder zuschlagen, da fiel ihr Blick auf ein doppelseitiges Panoramafoto, das sie wie magisch a n zog. Mit klopfendem Herzen tastete sie nach ihrer Brille, schaltete die Leselampe ein und besah sich das Foto genauer. Es zeigte die schottischen Hig h lands. Sanft gewellte grüne Hügel erstreckten sich unter e i nem azurblauen Himmel. Ein See in der Fa r be des Himmels lag eingebettet in die wildromantische Lan d schaft. Keine Welle kräuselte die Oberfl ä che, die wie ein Spiegel das Bild einer malerischen weißen Burg am Ufer zurückwarf.
Benize.
Wie aus dem Nichts tauchte der Name in ihren Gedanken auf und setzte sich dort fest. Ein Name, den sie nie gehört hatte, von dem sie aber aus tiefster inn e rer Überzeugung wusste, dass er wie kein and e rer zu diesem Bild passte.
»Benize«, Sandra flüsterte fast. Sie kam sich vor wie jemand, der von einer fremden Speise kostet und übe r rascht ist, wie gut sie schmeckt. Mehr noch: Das Wort weckte eine schmerzliche Sehnsucht in ihr, die sich nur mit einem Gefühl vergleichen ließ: Hei m weh.
Von einer Sekunde zur nächsten waren Schwe r mut und Kopfschmerzen wie weggeblasen. Das Foto gehö r te zu einem Artikel über Schottland, dessen Zeilen sie geradezu verschlang. Doch was sie an Text vorfand, war enttäuschend. Das Foto hatte ihren Appetit g e weckt, aber der Bericht ließ sie hun g rig zurück. Nichts von dem, was dort stand, berührte auch nur ann ä hernd die Gefühle, die der Anblick der Highlands in ihr ausgelöst hatte. Nichts gab ihr einen Hinweis auf das, was sie suchte, und nirgends fand sie das Wort Benize.
Von plötzlichem Tatendrang erfasst, sprang Sandra aus dem Bett und schaltete ihren Laptop ein. Die S u che im Internet brachte jedoch nur eine An t wort: Ein Benize gab es nicht. Schon gar nicht in Verbindung mit den schottischen Highlands.
Mit der Ernüchterung stellten sich auch die Kop f schmerzen wieder ein. Sandra schaltete den Laptop aus und legte sich wieder ins Bett. Die Zeitschrift mit dem Bild der Highlands lag aufgeschlagen neben ihr. I m mer wenn sie es betrachtete, durchströmte sie ein G e fühl der Wärme, das sie sich nicht erklären konnte. Manchmal glaubte sie, der Lösung so nahe zu sein, dass sie nur danach greifen musste, doch wie zuvor in ihren Träumen fehlte immer ein winz i ges Puzzleteil, um das Rätsel zu lösen.
Mehr Bilder, dachte sie bei sich. Ich müsste mir mehr solcher Bilder ansehen, vielleicht komme ich dann hinter das Geheimnis des Wortes. Für einen Augenblick erwog sie, wieder das Internet zu Rate zu ziehen, verwarf den Gedanke aber gleich wieder. Das Suchwort »Highlands« hatte ihr über einhundertta u send Ergebnisse eingebracht, zu viel für eine kop f schmerzgeplagte Studentin. Morgen, dachte sie bei sich. Gleich morgen früh, wenn ich mich besser fühle, gehe ich in die Bücherei und besorge mir einen Bil d band der Highlands.
Der Gedanke war nicht wirklich tröstlich, aber die Kopfschmerzen wurden schlimmer, und Sandra fühlte sich außerstande, an diesem Tag noch aus dem Haus zu gehen. Sie würde noch eine Tablette nehmen und versuchen zu schlafen. Alles andere musste bis morgen warten.
***
Am frühen Nachmittag kamen Reiter ins Walddorf Gor, der gerade die Schweine im Stall versorgte, hörte sie schon von Weitem. In wildem Galopp preschten sie den staubigen Waldweg entlang. Dü s tere, bärtige Gestalten in Mänteln aus Fell und mit ebensolchen Hüten, auf Pferden, deren Leiber mit flockigem Schweiß bedeckt waren und von deren Mäulern Schaum zu Boden tropfte.
Der Zustand der Pferde kümmerte die Männer nicht. Ohne Rücksicht trieben sie die Tiere mit Schl ä gen und Sporentritten an. Als sie die ersten Hütten passiert hatten, zügelten sie die Pferde und forderten die Dorfbewohner durch lautes Rufen auf, sich am Brunnen in der Mitte des Dorfes zu ve r sammeln. Aber die Menschen hatten Angst. Viele versteckten sich in den Hütten, und nur wenige fa n den den Mut, dem Aufruf Folge zu leisten.
»Sind das alle, die hier wohnen?«, herrschte einer der Reiter das halbe Dutzend Männer an, die sich in sicherem Abstand auf der anderen Seite des Bru n nens eingefunden hatten.
»Nicht alle, aber genug.« Da die anderen Männer nicht reagierten, trat Gor vor. »Nicht jeder Reiter, den das Dunkel des Waldes ausspuckt, ist ein Freund des Waldvolks. Wir haben gelernt, vorsichtig
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