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Königin für neun Tage

Königin für neun Tage

Titel: Königin für neun Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
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dem völlig verdutzten Reitknecht die Zügel aus der Hand, sprang auf ihr Pferd und galoppierte in rasender Geschwindigkeit nach Bringham zurück, ohne auf die Rufe des Knechtes zu achten. Äste peitschten ihr ins Gesicht, aber es war ihr egal. Beim Haus angekommen, ließ sie die Stute einfach im Hof stehen und eilte in ihr Zimmer. Sie war froh, im Haus auf niemanden zu treffen, denn jetzt rannen ihr die Tränen unaufhaltsam über die Wangen. Jane warf sich aufs Bett und vergrub ihren Kopf in den Kissen. Ein scharfer Schmerz durchfuhr ihr Herz, beinahe, als würde es ihr jemand mit glühenden Zangen aus der Brust reißen. Sie hatte vergessen, die Tür zu verriegeln, so dass kurze Zeit später Guildford in den Raum gestürmt kam. Gleich nachdem er Jane bemerkte hatte, hatte er sich hastig angezogen und das Mädchen einfach im Wald liegen gelassen. Sollte sie doch sehen, wie sie nach Bringham zurückkäme, er konnte jetzt nicht an dieses Flittchen denken. Wie hatte es nur geschehen können, dass Jane sie entdeckte?
Jane zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen, als sie Guildfords Hand auf ihrem Rücken spürte.
»Jane! Liebste … mein Mäuschen …« Seine Stimme war sanft und schmeichelnd, löste in Jane jedoch einen erneuten Weinkrampf aus. »Bitte, lass dir erklären …«
»Was gibt es da zu erklären? Die Situation war wohl eindeutig, versuch nicht, dich herauszureden!«, schluchzte sie in die Kissen.
»Jane, du musst verstehen, dass wir Männer manchmal … Bedürfnisse verspüren, die nichts mit Liebe zu tun haben. Das ändert doch nichts an unserer Beziehung. Jetzt komm, sei vernünftig und wieder lieb. Ja?«
Dass Guildford so ruhig und gelassen darüber sprechen konnte und die Sache darstellte, als wäre ein Betrug das Natürlichste von der Welt, ließ Janes Tränen versiegen, und es siegte die Wut über ihre Enttäuschung. Mit blitzenden Augen fuhr sie herum und schrie ihn an: »Du wälzt dich mit einer Magd im Gras, und ich soll so tun, als würde mich das nicht berühren? Du sagst einfach, dies habe nichts mit uns zu tun, und meinst, damit sei die Angelegenheit vergessen?«
Guildford bemühte sich um sein charmantestes Lächeln. Wenn er nicht seinem Vater versprochen hätte, Jane unter allen Umständen bei Laune zu halten, wäre er jetzt sofort gegangen, und es hätte ihn wenig gekümmert, ob Jane weinte oder schrie. Guildford Dudley wusste allerdings, dass seine Zukunft von Janes Wohlwollen abhing, ein Gedanke, der ihm nicht behagte, aber eine Tatsache war. Darum versuchte er erneut, seine Frau zu beruhigen: »Es mag vielleicht nur eine schwache Entschuldigung sein, aber wir Männer sind eben so. Das ist uns von Gott gegeben worden.«
»Lass Gott aus dem Spiel«, zischte Jane ihn an. »Und jetzt verlass mein Zimmer und betrete es nie wieder. Niemals! Hast du verstanden?«
»Du meine Güte, Jane, jetzt mach aus dieser Kleinigkeit bitte keine große Sache! Gut, ich habe körperliche Befriedigung in den Armen einer willigen Magd gefunden, die es darauf abgesehen hatte, mich zu verführen. Aber du bist meine Frau. Hast du dich in den letzten Wochen jemals beklagen können, dass ich dich vernachlässige?«
Jane verzichtete darauf, zu antworten. Noch in der letzten Nacht hatte Guildford sie geliebt, und sie hatte es genossen. Wenn sie jetzt jedoch daran dachte, dass er ihren Körper jemals wieder mit den Händen, die gerade den Körper der Magd liebkost hatten, berühren würde, wurde ihr beinahe übel. Mochte nach Guildfords Worten Untreue bei Männern auch etwas völlig Normales sein – sie würde sich nicht damit abfinden! Womöglich bekam dieses Mädchen ein Kind, gar einen Sohn. Sie, Jane, wäre dann ihren überlegenen Blicken ausgesetzt, die sagten: »Seht her, ich kann dem Herrn das schenken, was Ihr nicht vermögt!«
»Lass mich allein, Guildford«, sagte Jane. Ihre Wut hatte sich gelegt und machte nun einer großen Resignation Platz. Von einem Augenblick auf den anderen war ihr Glück wie eine Seifenblase geplatzt. Instinktiv wusste Jane, dass ihre Beziehung zu Guildford nie wieder so werden konnte, wie sie gewesen war. In den letzten Stunden war sie endgültig erwachsen geworden.
    Auch über dem Palast zu Whitehall schien an diesem Spätnachmittag die Sonne warm und hell, doch durch die geschlossenen Vorhänge drang kein Sonnenstrahl. In dem düsteren Zimmer roch es nach Krankheit und Tod. Der Zeiger der kunstvoll geschmiedeten venezianischen Uhr rückte auf die sechste Stunde vor, als Edward

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